Von Kenia zum CJD Erfurt – Von einem, der loszog, um seinen Traum zu verwirklichen

Kenia – kaum ein anderes Land verkörpert auf diese einzigartige Weise unseren Traum vom wilden und romantischen Afrika. Es ist das Land der weiten Savannen, faszinierenden Tierwelt, schier endlosen Strände und schneebedeckten Berge. Allerdings prägen auch Themen wie hohe Arbeitslosigkeit, Verarmung der Bevölkerung durch hohes Bevölkerungswachstum, Unruhen und Bildungsdefizite das Land im Osten von Afrika. Wenn man den Erzählungen von Samuel Wamaitha über sein Heimatland lauscht, dann wird einem schnell klar, weshalb der junge Mann vor einigen Jahren die Reise nach Deutschland angetreten hat.

Der 30-jährige Kollege ist für uns ein ganz klarer Fall für die Rubrik „Von Alltagshelden und Lebenskünstlern“. Er gehört zu den Menschen, die vor vielen Jahren einen Traum von einem besseren Leben in unserem Land hatten. Und er hat alles daran gesetzt, diesen Wunsch zu verwirklichen. Der  Weg zu seinem Traumjob in Deutschland war nicht immer einfach und oft mit kleinen und manchmal auch großen Hindernissen bestückt. Aber das war eher der Treibstoff für seinen unermüdlichen Kampf für ein besseres und vor allem friedliches Leben, in einem Land, in dem er die Chance bekam seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

 

Herr Wamaitha, Sie leben seit sieben Jahren in Deutschland. Wie kam es dazu, dass Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

Ich habe in Kenia ganz normal meinen Schulabschluss gemacht und danach eine Schulklasse unterrichtet und im Krankenhaus gearbeitet. Für mich war sofort klar, dass ich gern im sozialen Bereich arbeiten möchte. Aber in Kenia ist das ein bisschen anders als in Deutschland. Wenn deine Eltern kein Geld haben, dann hast du einfach schlechte Chancen, eine gute Ausbildung zu bekommen. Das ist leider so. In dem Krankenhaus, in dem ich gearbeitet habe, gab es eine sehr nette Ärztin aus Deutschland, die meinte, dass ich durch ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in  Deutschland viel Erfahrung sammeln könnte. Und so kam es, dass ich zum FSJ nach Bad Langensalza ging.

Von Kenia nach Bad Langensalza - da ist doch der Kulturschock vorprogrammiert, oder?

Ja, irgendwie schon. Ich bin in Berlin gelandet und es war April. Auf der Fahrt nach Bad Langensalza war ich von den vertrockneten Bäumen und der fehlenden Farbe auf den Straßen etwas enttäuscht. Ich hatte mir Deutschland sehr grün vorgestellt, aber es war ja auch erst April. Was ich ziemlich beeindruckend fand, waren die alten Kirchen und Kapellen, so etwas hatte ich noch nie gesehen.

Wie funktionierte die Verständigung?

Ich hatte in Kenia vorab einen Intensiv-Deutschkurs besucht, so dass ich alle um mich herum verstanden habe. Aber ich konnte schlecht antworten. Deshalb habe ich mich total über den Volkshochschulkurs in Deutschland gefreut. Er ging drei Wochen und ich habe dabei viel gelernt. Ich wollte schnell richtig gut Deutsch lernen, denn ich wollte mich austauschen und die Menschen in Deutschland verstehen.

Hatten Sie sich Deutschland so vorgestellt?

Naja, irgendwie habe ich mir Deutschland kleiner vorgestellt. Also viele kleine Städte mit schönen Blumen vor den Fenstern. Als ich das erste Mal von Bad Langensalza nach Erfurt kam, konnte ich mir kaum vorstellen, hier jemals zu arbeiten und zu leben, denn alles war so groß. Aber ein Besuch in Frankfurt und Berlin änderte meine Meinung, denn ich merkte schnell wie schön Erfurt doch ist. Lustig sind die vielen Dialekte in Deutschland. Ein Freund erklärte mir, dass in Erfurt „no“ ja heißt und dass man das so nicht unbedingt in Berlin versteht. Aber die Mentalität der Deutschen ist schon anders als die der Kenianer, was aber nicht bedeutet, dass das eine besser ist als das andere. Ich habe mir in Deutschland ein paar negative Kommentare wegen meiner Hautfarbe anhören müssen, aber das hätte mir durchaus auch in Kenia passieren können. Es gibt überall auf der Welt Menschen, die andere unbedingt verletzen wollen. Ansonsten fühle ich mich sehr wohl in Erfurt.

Wie sind Sie auf das CJD Erfurt aufmerksam geworden?


Mein damaliger Chef vom FSJ machte sich für mich stark, damit ich eine Ausbildung bekomme. Er nahm Kontakt zu Katy Kirchner aus „Haus Lebensfreude“ im CJD Erfurt auf. Ich hoffte, dass sie als Leitung gute Tipps für meine weitere berufliche Laufbahn hatte. Neben vielen Anregungen bot mir Frau Kirchner gleich ein Praktikum im Kinder-und Jugendbereich an und ich freute mich riesig über diese Chance.

Nachdem ich einige Tage im „Haus Lebensfreude“ gearbeitet hatte, war ich Feuer und Flamme und wollte unbedingt mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Sie haben sich dann zu einer Ausbildung als Altenpfleger entschieden, obwohl Sie gern im Kinder- und Jugendbereich arbeiten wollten. Gab es dafür Gründe?

Damals war die Ausbildung als Heilerziehungspfleger nicht nebenberuflich möglich und so stand ich wieder vor einer Finanzierungsfrage. Ich musste ja auch meine Wohnung bezahlen. Also entschied ich mich für eine betriebsbegleitende Ausbildung als Altenpfleger.

Nach Ihrer Ausbildung haben Sie im CJD Erfurt angeklopft und sich beworben. Frau Kirchner aus „Haus Lebensfreude“ war sehr erfreut Sie wiederzusehen und bot Ihnen tatsächlich einen Job an. Das klingt ja fast wie in einem Märchen, ist aber wahr oder?

Ja das stimmt, es klingt wie in einem Märchen, aber genau so war es. Ich habe das CJD immer im Hinterkopf behalten. Und ich wusste, dass ich mich nach meiner Ausbildung unbedingt dort bewerben möchte. Und das war genau vier Jahre später. Frau Kirchner hat nicht schlecht geguckt, als ich plötzlich vor Ihrem Büro stand mit meiner Bewerbung in der Hand.

Sie sind Altenpfleger und arbeiten mit Kindern und Jugendlichen zusammen? Passt das überhaupt zusammen?


Ja, ich denke das passt schon sehr gut zusammen, denn im Herzen wollte ich ja nie etwas anderes machen. Die Ausbildung als Altenpfleger war lediglich der Türöffner für meinen Traum. Ich mache zusätzlich eine pädagogische Weiterbildung für den Kinder- und Jugendbereich, so dass ich mein Wissen ergänzen kann.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag derzeit aus?

Ich arbeite auf der intensivpädagogischen Wohngruppe und begleite vier Jungen und ein Mädchen bei den Hausaufgaben, beim Einkaufen, Kochen und vielen anderen Alltagsdingen. Insgesamt eine sehr abwechslungsreiche und spannende Aufgabe.

Gibt es kulturelle Barrieren in Ihrem Arbeitsalltag?

Nein, überhaupt nicht. Ich lebe in Deutschland und weiß nach sieben Jahren auch, was die Gepflogenheiten in meiner neuen Heimat sind. In mein Team habe ich mich nach zwei Jahren prima eingelebt und wenn etwas komisch ist, dann wird es angesprochen.

Ihre Kollegen sagen über Sie, dass Sie permanent lächeln und Ihre gute Laune versprühen. Am deutschen Wetter kann das ja nicht liegen, oder?

Ich habe ja auch allen Grund zum Lächeln. Ich finde, dass private Angelegenheiten nichts auf Arbeit zu suchen haben. Dort bin ich zu 100 Prozent für die Kinder da und das bringt mich zum Lächeln. In Kenia ist es ganz normal, dass man vor Kollegen oder Nachbarn seine Gefühle nicht zeigt. Da sind die Deutschen schon manchmal etwas offener mit ihren Stimmungen.

Wundern Sie sich manchmal noch über deutsche Gepflogenheiten?

Ja, da gibt es einige merkwürdige Dinge, die ich aus meiner Heimat so nicht kannte. Ich war total verwundert als ich in Deutschland Frauen über 50 Jahre Fahrradfahren gesehen habe. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen und als ich meiner Mutter davon am Telefon berichtete, konnte sie es auch kaum glauben.

Die ganzen Tattoos und Piercings sind in meinem Heimatland nicht so üblich. Und dass auch Männer Ohrringe tragen, war auch eine riesige Überraschung für mich. In Kenia tragen das sonst nur Frauen. Naja und dass Männer auf der Straße andere Männer küssen oder Frauen Hand in Hand laufen, ist in Kenia auch noch unvorstellbar.

Was mich aber im meinem Alltag oft wundert, ist der fehlende Respekt gegenüber älteren Menschen. In der Straßenbahn stehen Jugendliche oder jüngere Menschen sehr selten auf, das wäre in meiner Heimat undenkbar.

Die wenigsten wissen, dass die Bevölkerung von Kenia zu 80 % christlich ist. In Kenia waren Sie auch einer christlichen Gemeinschaft angeschlossen. In Deutschland haben Sie sich dennoch entschlossen, sich erneut taufen zu lassen. Wie kam es dazu? Gab es Unterschiede bei der Taufe?


Ich war in Kenia in einer christlichen Gemeinde und wurde dort natürlich auch getauft. Das ist so üblich in Kenia. Du hast als Kind in die Kirche zu gehen und das nicht zu hinterfragen. Die Taufe war allerdings in Deutschland nicht anerkannt und aus diesem Grund habe ich mich erneut zu einer Taufe entschieden. Beide Taufen waren gleich, denn ich wurde beide Male komplett unter Wasser getaucht. Diesmal war meine Taufe in Hohenfelden am Stausee und ich habe natürlich viel mehr mitbekommen als damals als Kind in Kenia.

Seit über 2 Jahren arbeiten Sie im „Haus Lebensfreude“ im CJD Erfurt. Sie haben gerade Ihren unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Wie fühlt sich das an?

Es fühlt sich richtig gut an und für mich ist mit dem festen Arbeitsvertrag ja noch ein bisschen mehr verbunden, denn dadurch habe ich auch einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland. Das sind also gleich zwei Gründe zum Feiern.

Meine Familie in Kenia ist natürlich wahnsinnig stolz auf mich. Vor wenigen Wochen war ich in meiner Heimat zu Besuch, zum ersten Mal nach sieben Jahren. Mein Besuch wurde unglaublich gefeiert. Eigentlich sollte es ein kleines Fest für mich geben, aber wenn Besuch aus Deutschland kommt, dann werden es schnell mal 130 Gäste. Es war schön, dass ich meiner Familie von meinem Erfolg berichten konnte. Sie wollten alles ganz genau von meiner neuen Arbeit wissen.

Sehen Sie sich selbst als Vorbild für junge Menschen in Ihrem Land bzw. in Deutschland? So nach dem Motto „Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man es.“

Ja, das kann man schon so sagen. In meiner Heimat bin ich definitiv ein Vorbild für die jungen Menschen, denn ich habe gezeigt, dass man nie stillstehen darf, wenn man seine Träume erreichen möchte. Mein Traum war es, mit Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu arbeiten und nach sieben Jahren voller Arbeit und Fleiß bin ich nun am Ziel. Ein schönes Gefühl!

08.09.2016