Zusammenrücken im Zeichen der Nächstenliebe

20.04.2022 CJD Erfurt « zur Übersicht

Es gibt Alltagsheld*innen im CJD Erfurt, die sich für geflüchtete Menschen aus der Ukraine stark machen. Eine von ihnen ist Gundel Zangenberg-Stein. Die Heilerziehungspflegerin arbeitet seit vier Jahren mit viel Herzblut im CJD Kindergarten „Die kleinen Europäer“. Nebenbei absolviert die Powerfrau eine Ausbildung zur Heilpädagogin. Sie lebt mit ihrem Mann und Dackel Karl-Heinz in einem kleinen Reihenhaus in Erfurt. Im März haben sie ihre privaten vier Wände für eine Mutter und ihre elfjährige Tochter aus der Ukraine geöffnet. Es ist ihre erste Hilfsaktion in dieser Art und sie würde es jederzeit wieder tun. Gundel hat uns in einem Interview mehr über das Leben mit Menschen, die vom Krieg geflüchtet sind, erzählt.

Was hat dich bewegt zu helfen und deine eigenen 4 Wände zu öffnen?

Als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, hatten mein Mann und ich sofort das Bedürfnis, etwas zu tun, was über Spenden hinausgeht. Wir selbst können uns kaum vorstellen, wie schrecklich es sein muss, plötzlich das eigene Zuhause verlassen zu müssen, ohne zu wissen, wann man zurückkann und wo es hingeht. Angst um das eigene Leben und das der Menschen, die einem am Herzen liegen. Das ist fürchterlich.

Wir haben hier so viel, wofür wir dankbar sein sollten. Es war uns wichtig, Menschen, die dieses Glück gerade nicht haben, einen sicheren Ort zu bieten, um zur Ruhe zu kommen, Sicherheit zu erfahren und sich willkommen zu fühlen.

Wie haben Freunde und Familie auf euer Engagement reagiert?

Viele Freunde und Bekannte waren überrascht. Sehr oft haben wir gehört, dass sie auch schon darüber nachgedacht haben, aber unschlüssig waren. Einige waren sofort sehr engagiert, vor allem Kolleg*innen aus dem CJD Kindergarten und unsere Familie. Sie haben direkt mit Sach- oder Geldspenden geholfen.

Seit wann leben Mutter und Tochter bei euch?

Wir haben uns über die Seite der Stadt Erfurt informiert und dort unser Wohnungsangebot angegeben. Am 17. März erhielten wir einen Anruf vom Sozialamt, ob unser Angebot noch aktuell sei. Als wir dies bejahten, ging alles sehr schnell. Bereits am selben Tag um 17 Uhr empfingen wir die 48-jährige Anna mit ihrer 11-jährigen Tochter Valeria bei uns zu Hause.

Woher kommen Mutter und Tochter und haben sie Familienmitglieder in der Ukraine zurücklassen müssen?

Die beiden kommen aus Kiew und haben dort ihre Familie zurücklassen müssen. Die Eltern der Mutter sind noch in Kiew. Eine ältere Tochter von Anna und deren Kind halten sich ebenfalls noch in der Ukraine, in Donezk, auf. Die Tochter wollte das Land nicht ohne ihren Mann verlassen. Auch eine gute Freundin ist mit ihrem Kind noch in Kiew und kann das Land nicht verlassen, da es jetzt zu gefährlich ist. Anna macht sich große Sorgen um diese Menschen.

Haben Mutter und Tochter regelmäßig Kontakt in die Ukraine?

Beide telefonieren regelmäßig mit der Familie und Bekannten. Valeria hat täglich für ein paar Stunden Online-Unterricht. Dieser wird direkt von ihrem Gymnasium in Kiew aus angeboten. Häufig haben die Lehrer*innen aber kein Licht oder Internet, so dass sie die Aufgaben zum Lernen oft nur stellen. Wenn das Netz jedoch gut ist, dann sieht und hört Valeria ihre Lehrer*innen.

Manchmal kommt es vor, dass es einen Fliegeralarm gibt, dann muss Valeria zusehen, wie sich die Lehrer*innen plötzlich auf den Boden legen, um Schutz zu suchen.

Hast du das Gefühl, dass der Krieg durch die Familie näher an dich herankommen ist?

Natürlich ist durch das Zusammenleben der Krieg viel näher an uns herangetreten. Mein Mann und ich reden sehr viel darüber und achten darauf, verschiedene Aufgaben gut zu verteilen. Mein Mann ist aus gesundheitlichen Gründen gerade zu Hause. Er kümmert sich darum, Anna und Valeria bei alltäglichen Dingen, wie der Wohnungssuch oder bei Telefonaten mit Ämtern zu unterstützen.

Da ich durch Arbeit und Ausbildung stark eingebunden bin, übernehme ich eher Freizeitaktivitäten wie Shopping, Spaziergänge mit unserem Hund, Spieleabende und Ausflüge. Ich besorge auch Schulzeug oder Dinge, wie Farben und Pinsel, damit sich Valeria beschäftigen kann.

Wie sieht euer Tagesablauf aus?

Am Vormittag hat Valeria Schule und am Nachmittag nimmt Anna derzeit an einem Deutschkurs teil. Am späten Nachmittag reden wir darüber, wie unser Tag war, was es Neues zu berichten gibt und anschließend kochen wir gemeinsam. Nach dem gemeinsamen Abendessen sitzen wir meist noch zusammen, spielen und erzählen.

Unser Haus ist nicht groß und die beiden nutzen das ehemalige Kinderzimmer meines Sohnes, der gerade in Chemnitz studiert. Alle anderen Bereiche nutzen wir gemeinsam. Das ist selbstverständlich eine Umstellung für alle und erfordert sehr viel gegenseitige Rücksichtnahme, gute Absprachen und tatsächlich selbst in dieser Situation eine Portion Humor, um mit alltäglichen Herausforderungen gemeinsam umgehen zu können.

Uns war von Anfang an klar, dass wir mit diesem Wohnangebot nicht nur Raum, sondern auch uns selbst als Familie zur „Verfügung“ stellen. Unser Alltag wurde von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt. Wir haben uns selbst dafür entschieden – Anna und Valeria nicht. Wir tun unser Bestes, um sie so gut wie möglich zu begleiten. Uns ist aber vollkommen klar, dass nichts ein selbstgewähltes und freies Zuhause ersetzen kann.

Wie verständigt ihr euch?

Besonders die Kommunikation ist sehr herausfordernd. Mein Mann und ich sprechen nur ein paar Brocken Russisch, wobei sprechen fast schon zu viel gesagt ist. Eigentlich kennen wir nur noch wenige Worte aus einem sehr lange zurückliegendem Unterricht. Anna und Valeria sprechen beide kein Deutsch und nur Valeria kennt wenige Worte auf Englisch. Wir nutzen eine App, was die Kommunikation sehr schwierig gestaltet und ein sehr bewusstes und einfaches Sprechen braucht, da die App es sonst falsch übersetzt. Es dauert also alles sehr lange, auch wenn es manchmal nur sehr kleine Dinge sind, die wir bereden wollen.

Möchte die Familie nach dem Krieg wieder zurück?

Die Familie möchte sobald wie möglich wieder zurück in die Ukraine. Tatsächlich ist dies ein sehr sensibles Thema, da beide glauben, dies auch sehr bald tun zu können.

Wie können wir vom CJD-Team dich unterstützen?

Für eine eigene kleine Wohnung, die Anna und Valeria wahrscheinlich bald beziehen können, suchen wir noch verschiedene Möbel und Haushaltsgegenstände.

Wir brauchen noch eine ganze Menge, beispielsweise:

  • Waschmaschine
  • Tisch und Stühle
  • Lampen
  • Waschbeckenunterschrank
  • Staubsauger
  • Couch
  • Couchtisch
  • ein Bett für die Mutter

Außerdem suchen wir eine funktionierende Nähmaschine. Anna liebt es zu nähen. Sie hat in der Ukraine die Kleidung für ihre Tochter immer selbst genäht. Es wäre toll, wenn wir der Mutter ein bisschen Vertrautes ermöglichen könnten.

Sollten sich CJD-Kolleg*innen finden, die diese Dinge abgeben könnten, wäre es wundervoll.

Folgende Dinge haben wir schon zusammen, und brauchen diese nicht mehr: Küche und Küchenutensilien (Geschirr, Töpfe…), Bett für Valeria, Kleiderschrank, Computertisch und Bürostuhl sowie Fernseher.

Wenn andere CJD-Mitarbeiter*innen ebenfalls geflüchteten Menschen helfen wollen, was kannst du ihnen empfehlen?

Es zu tun! Hilfe kann so viele Gesichter haben: Patenschaften, Spenden, Wohnangebote oder gemeinsame Freizeitaktivitäten. Egal was, wichtig ist, dass es von euch kommt, egal wie groß oder klein. Es kommt niemand an eure Tür und wird euch um Hilfe bitten. Wenn ihr das Bedürfnis habt etwas zu tun, dann macht es.