„Untenrum Barrierefrei“ – Über ein Tabuthema, was keins sein sollte

08.09.2022 CJD Erfurt CJD Dresden « zur Übersicht

Wann hat man schonmal die Gelegenheit einer Sexarbeiterin Auge in Auge ganz persönliche Fragen zu stellen und in einer Gruppe ohne Hemmungen über ein Tabuthema zu sprechen? Im Workshop „Untenrum Barrierefrei“ war genau das möglich. Die Auftaktveranstaltung am 03.09.2022 wurde gemeinsam vom CJD Erfurt und der Fachberatungsstelle „allerd!ngs (Support Sexwork Thüringen)“ veranstaltet. Als besonderer Gast berichtete Daria Oniér ungezwungen über ihre Arbeit als Sexarbeiterin und Sexualbegleiterin.

Die Workshopleitung Alex Leidig (CJD Erfurt) und Lena Kunert (allerd!ngs) sorgten gleich zu Beginn mit intimen Positionierungsfragen für eine Atmosphäre, die von Offenheit geprägt war. Fragen wie „Stehst du auf Männer, Frauen oder beide?“, „Hast du die Möglichkeit, dich selbst zu befriedigen?“ und „Kennst du Sexspielzeug?“ wurden ganz selbstverständlich und ohne Scham mit einer entsprechenden Positionierung im Raum, von den Teilnehmer*innen beantwortet.

Das Publikum des inklusiven Workshops war bunt gemischt. So füllten nicht nur CJD- und Lebenshilfe-Kund*innen die Reihen, sondern auch Mitarbeitende von verschiedenen Trägern und sogar Eltern. Ab und zu wurde die Hand gehoben, wenn Worte wie Fetisch, Domina und Co zu schwierig waren. Für die Dozent*innen war das überhaupt kein Problem, dann wurde eben alles nochmal etwas einfacher erklärt.

„Leider fehlen noch immer die Zugänge zu Themen rund um die Sexualität. Dabei sollten wir auch gerade diese Themen aufbrechen im Kontext der Inklusion“, so CJD-Mitarbeiter Alex Leidig, der die Idee zu diesem Workshop hatte.

Alle Teilnehmer*innen hatten im Rahmen einer Gruppenarbeit genügend Raum, um ihre Wünsche und Ängste zur Sexualität zu sammeln. Die Liste der Wünsche war lang und gespickt von Schlagworten wie Offenheit, mehr Selbstbestimmung, Entstigmatisierung, Aufklärung und Diversität.

Als besonderen Höhepunkt berichtete Daria Oniér aus ihrem Alltag als Sexarbeiterin und Sexualbegleiterin. Sie hilft unter anderem Menschen mit Behinderungserfahrungen, deren erotische und sexuelle Bedürfnisse zu erfüllen. Das reicht vom einfachen Zusammensein, Umarmen, Kuscheln und Massagen bis hin zum Sex. Kurz gesagt: Sie verteilt Streicheleinheiten für Körper, Geist und Seele. Die sympathische Blondine ist Landessprecherin für den Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleitungen e.V. (BESD e.V.) und entführte die Anwesenden mit viel Charme und Witz in ihren erotischen Alltag. Es wurden viele Fragen gestellt und noch mehr Antworten gegeben. Daria Oniér erklärte, was Sexarbeit und Sexualbegleitung bedeutet, wie eine erotische Begegnung aus ihrem Arbeitsalltag aussieht und welche rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Job erfüllt sein müssen. Daneben wurden auch die moralischen Kritikpunkte der Sexarbeit beleuchtet.

„Sexuelle Selbstbestimmung hat positive Auswirkungen auf alle Lebensbereiche und es bedarf noch unglaublich viel Aufklärungsarbeit in der Arbeit mit Menschen mit Handicap“, resümiert die Sexualbegleiterin.

Am Ende des Workshops gab es noch angeregte Gespräche, die deutlich machten, dass diese Veranstaltung nicht die letzte zu diesem Thema sein darf. Denn Inklusion bedeutet eben auch, dass Menschen mit Behinderungserfahrungen ihre Sexualität leben. Doch wie kann das gehen, wenn nicht darüber gesprochen wird und wenn immer noch davon ausgegangen wird, dass sie gar keine haben?

Sexualität von Menschen mit Behinderungserfahrungen ist bis heute in der Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Doch damit will das CJD Erfurt einen Schlussstrich ziehen und für Enttabuisierung der schönsten Nebensache der Welt sorgen.