Superhelden unter uns

24.11.2020 CJD Erfurt « zur Übersicht

(von Miriam Kalliwoda)

Ein heller Lichtblitz, ein Spinnenbiss oder ein wissenschaftliches Experiment und Zack man ist Superheld*in. Durch die Gegend fliegen, kleine Babys retten oder gleich das gesamte Universum – das gehört halt einfach zum Tagesgeschäft. Doch was macht einen Helden eigentlich aus? Die Superkräfte, die spezielle Herkunftsgeschichte oder vielleicht doch eher das superheldige Verhalten? Was wäre, wenn Helden unter uns leben würden, ohne dass wir sie wahrnehmen? Was, wenn den wahren Helden ihre Superkräfte gar nicht anerkannt werden und nur die wenigsten Menschen ihre Kräfte erkennen können? Diese Geschichte handelt von einem Superhelden, den manche vielleicht nicht als einen solchen beschreiben würden. Und so beginnt unser Abenteuer…

Boom         Pow        Bang         Zwusch         Smash.

Dustin Schulter ist 26 Jahre alt. Er mag Fußball, Musik und seinen großen Freundeskreis. Er reist gerne, schaut hübschen Frauen hinterher und liebt schwarzen Humor. Ein junger Mann, der sein Leben lebt. Aber er lebt es eben doch etwas anders. Dustin sitzt im Rollstuhl und wird jeden Tag von Begleitern unterstützt. Sprechen fällt ihm schwer und nicht jeder kann ihn auf Anhieb verstehen. So viel wusste ich ungefähr über Dustin, bevor ich ihn zuhause besuchte und dieses Portrait über ihn geschrieben habe. Ein bisschen aufgeregt war ich davor schon. Trete ich in irgendwelche Fettnäpfchen? Findet er die Fragen, die ich stellen werde, unangemessen? Bin ich vielleicht nicht aufmerksam, lustig oder clever genug, um alles erfassen zu können? Meine Ängste haben sich jedoch gleich in Luft aufgelöst, als ich Dustins Wohnung betrat.

Dustins Begleiter Alex, vom Ambulant Betreuten Wohnen im CJD Erfurt, macht mir die Tür auf. Im Hintergrund läuft Musik. Eins meiner Lieblingslieder kommt aus den Boxen und ich denke gleich: Das wird gut! Alex arbeitet an diesem Nachmittag und nimmt mich mit in Dustins Alltag. Ich setzte mich auf die Couch, Dustin sitzt in seinem Rollstuhl neben mir und Alex wuselt in der Wohnung rum. Abends kommen noch Freunde und dafür muss natürlich das Bier kalt stehen.

Ich schaue mich in der Wohnung um. Alles sieht neu, sauber und sehr gemütlich aus. Erst seit Anfang des Jahres wohnt Dustin hier. Davor war er in einer WG und ist jetzt richtig glücklich, endlich sein eigenes Reich zu haben. Diese gewisse Unabhängigkeit war und ist einer seiner größten Wünsche. Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwindet kein einziges Mal, als Alex und er mir die Wohnung zeigen. Besonders auffällig sind dabei die vielen Dinge, die von seiner Fußball-Leidenschaft erzählen. Überall Poster, Bilder und Schals. Ich bin zwar bei diesem Thema vollkommen unbedarft, aber ich erkenne die Logos von verschiedenen Vereinen wieder. Nicht zu übersehen ist der FC Bayern München.

Alex und Dustin erzählen mir, dass Dustin schon häufig bei Sportveranstaltungen war. Egal ob Basketball oder Fußball – Dustin ist immer mit Feuereifer dabei und jubelt lautstark mit. Bei einem Sommer-Trip nach Hamburg haben sie sogar an einer Führung durch die Stadien des St. Pauli und HSV teilgenommen. Bei anderen kann ein Ausflug wie dieser vielleicht spontan umgesetzt werden, aber bei Dustin und seinen Begleitern wird viel geplant. Oftmals gibt es keinen Zugang für den Rollstuhl oder es muss Platz gemacht werden. Auch auf Konzerten kann das der Fall sein. Dustin liebt Musik und die damit verbundenen Live-Konzerte. Auf Festivals ist er besonders gerne zu Gast. Seine Spotify Playlist ist ein bunter Musik-Mix und auch einige meiner Lieblingskünstler sind dabei.

Nachdem wir uns eine Weile unterhalten haben und ich einige meiner Fragen gestellt habe, erklärt mir Alex, dass es heute noch zum Einkaufen geht. Ein Brett an der Wand hilft bei der Besprechung, was Dustin alles braucht und haben möchte. Mit meiner Kamera im Gepäck machen wir uns auf den Weg zum Supermarkt. Auf der Straße bemerke ich viele Seitenblicke und Gemurmel. Manche Leute starren, manche ignorieren uns drei einfach. Ist das immer so? Die Frage wird von Dustin bestätigt. Er ist es gewohnt. Manche Leute sprechen ihn auch an oder berühren ihn ungefragt. Am Wochenende in Hamburg gab es anscheinend ein paar besonders aufdringliche Leute. Das geht natürlich überhaupt nicht und nervt ihn auch gewaltig.

Auf unserem Weg gibt es Gott sei Dank keine größeren Probleme – außer zu hohe Bordsteinkanten, Leute die im Weg stehen oder sehr, sehr enge Durchgänge. Im Supermarkt sind die meisten Gänge dann groß genug und die anderen Kunden machen uns Platz. Am Ende reichen unsere zwei Einkaufskörbe kaum aus. Auch beim Einkaufen ist Dustin natürlich der Chef. Was er will, kommt in den Korb. So wie immer. Während Alex und ich die Körbe tragen, transportiert Dustin die Küchenrolle auf seinem Schoß. Schwer bepackt machen wir uns auf den Rückweg und dann bockt der Rollstuhl mitten auf der Straße. Mist! Jetzt heißt es kräftig anschieben, sonst kommen uns gleich Autos entgegen.

Nach der Rettung in die Wohnung, werde ich neugierig. Wie sieht‘s bei Dustin eigentlich mit der Liebe aus? Freundin, Dating, Liebe – Alles Dinge, die Dustin schon erlebt hat, sich aber auch für seine Zukunft wünscht. Internet Dating funktioniert, aber Dustin erzählt mir, dass er Frauen lieber beim Feiern im Club oder bei Getränken im Biergarten kennenlernt. Jetzt ist er gerade Single. Aber wir sind uns alle einig – seine Traumfrau wartet noch auf ihn.

Während Dustin und ich die letzten Fragen durchgehen, bereitet Alex den Nudelsalat für heute Abend vor. Dustin schmeckt ab – da fehlt definitiv Salz. Damit die beiden in Ruhe den Abend mit Freunden vorbereiten können und nachdem ich alle meine Fragen gestellt habe, verabschieden wir uns. Ich ziehe die Tür hinter mir zu und gehe in den Fahrstuhl. Puh... Was für ein Tag!

Splash 
        OHHHH        Crash         Kaboom         Plop.

Habt ihr den Helden erkannt? Ihn und alles was dazu gehört? Superkräfte, Sidekicks, Abenteuer, Bösewichte und die Liebe am Ende. Anders als bei vielen Superhelden, geht Dustin schon sein ganzes Leben als Held durch die Welt. Kindheit, Schule und Erwachsen werden ist für niemanden super einfach. Aber Dustin musste zu vielen Zeiten besonders hart kämpfen. Mit seiner Fähigkeit, anderen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, verströmt er so viel Gute Laune, dass man sich fast augenblicklich wohl fühlt. Und unsere Begleiter aus dem CJD unterstützen ihn dabei tatkräftig. Auf seinen Reisen läuft nie alles glatt, aber er kämpft sich da durch. Ignoranz, Exklusion und die Technik stehen Dustin häufig im Weg. Aber was wäre er für ein Held, wenn er sich davon aufhalten ließe. Manchmal ist er genervt und sauer auf alles, aber wer ist das nicht? Auch ein Super-Held stößt mal an seine Grenzen.

Vielleicht hört sich das für viele Menschen nicht nach einem Helden an. Aber diesen Menschen rate ich: Guckt genau hin. Schaut euch diesen starken, lebensfrohen und lustigen jungen Mann an und sagt mir dann, er wäre kein Held. Für mich bist du einer. Ein wahrer Alltagsheld, Dustin Schulter!

* Die Bilder sind im Sommer 2020 entstanden.