„Hilf mir, es selbst zu tun.“ – Von der Bedeutung Unterstützter Kommunikation

02.10.2020 CJD Erfurt « zur Übersicht

Bereits die Reformpädagogin Maria Montessori wusste um den zentralen Stellenwert der Unterstütze Kommunikation (UK), wenn es um Teilhabe geht. Von ihr stammt der bekannte Ausspruch „Hilf mir, es selbst zu tun.“ UK ist für viele Menschen, die nicht oder kaum über Lautsprache verfügen, ein wahrer Segen. Vorhandene Möglichkeiten, über Lautsprache zu kommunizieren, werden genutzt und dann ergänzt, wenn es erforderlich ist.

Im CJD Erfurt wird Unterstütze Kommunikation vielfältig und bereichsübergreifend genutzt. Grund genug für uns, Thomas Born, Lehrer und Kommunikationspädagoge der CJD Erfurt Christophorusschule, Löcher in den Bauch zu fragen.


Unterstützte Kommunikation ersetzt die Lautsprache oder ergänzt sie. Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Unterricht genauer erklären?


Ein gutes Beispiel ist der Morgenkreis mit einfachen elektronischen Hilfen. In diesem Fall wird die Lautsprache ersetzt. Durch die Nutzung einer sprechenden Taste (z.B. eines BIGMack oder eines Step-by Step) kann sich ein Schüler aktiv in das Geschehen einbringen, indem er zuvor auf die Taste gesprochene Aussagen in einer Situation wiedergegeben kann. Diese können die Begrüßung der anderen Schülerinnen und Schüler, das Benennen des Datums oder das Sprechen eines Gebetes sein. Durch den Einsatz mehrerer Tasten besteht die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Dingen, wie beispielsweise Liedern, zu wählen. Die Tasten gibt es in verschiedenen Größen, so dass es auch Schülerinnen und Schülern mit motorischen Beeinträchtigungen möglich ist, sie zu bedienen.

Was kann die Unterstütze Kommunikation leisten, wenn es um den Aufbau einer gelingenden Lehrer-Schüler-Beziehung geht?

Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und sicher auch die Grundlage jeder Beziehung. Sie ist die Voraussetzung für Partizipation und Selbstbestimmung. Ist die Kommunikation eingeschränkt, können Missverständnisse entstehen, weil Fragen nicht verstanden bzw. Bedürfnisse und Interessen nicht erkannt werden. Dies kann zu Frustrationen und letztendlich auch zu Verhaltensproblemen führen. Das kann durch den Aufbau eines individuellen, wirksamen und effektiven Kommunikationssystems verhindert werden. Dabei bietet die UK ein sehr breites Handlungsfeld.

Einen Satz, den ich in meiner Ausbildung zum Kommunikationspädagogen gehört habe, drückt für mich die Bedeutung der UK sehr treffend aus: Einem Menschen den Zugang zur UK zu verwehren, ist damit gleichzusetzen, einem Grundschüler das Lesen nicht zu lernen.

Ist UK für alle Schüler*innen ein Gewinn?

Auf jeden Fall. Viele Maßnahmen der UK unterstützen auch das Lernen der Schülerinnen und Schüler, die diese Dinge nicht direkt zur Kommunikation benötigen. Sie helfen beispielsweise, Unterrichtsinhalte anschaulich darzustellen und Abläufe zu strukturieren. Gebärden verbinden Sprache und Motorik und erhöhen somit den Lerneffekt bei allen Schülerinnen und Schülern. Die Methoden der UK begleiten uns im Schulalltag in vielen Bereichen. Arbeitsmaterialien aus der UK, wie beispielsweise Symbole, findet man in vielen Unterrichtsmitteln und Situationen wieder. Auch Arbeitsblätter, Arbeitsanweisungen, der Stundenplan, Merktafeln sowie bebilderte Texte von Liedern und Gedichten werden durch UK-Methoden aufgebaut. Davon profitieren alle in der Klasse.

Welche Hilfsmittel werden bei der UK angewendet?

Es gibt unterschiedliche Formen und Methoden, welche die Kommunikation ergänzen oder ersetzen. Da die Kommunikation immer multimodal abläuft, werden auch bei unterstützt kommunizierenden Menschen verschiedene Kommunikationsformen parallel eingesetzt, um eine Verständigung zu ermöglichen.

Man unterscheidet körpereigene und externe Kommunikationsformen. Zu den körpereigenen Formen zählt man beispielsweise Atmung, Körperhaltung, Körperspannung, Kopfbewegungen, Mimik, Gestik, Zeigen, Ja/Nein-Zeichen, Laute, Gebärden und die Lautsprache. Diese Aufzählung zeigt, dass UK basal beginnt und nicht nur spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden.

Die Gruppe der externen Kommunikationsformen unterteilt sich in nichtelektronische und elektronische Hilfen. Zu den nichtelektronischen Hilfen zählt man beispielsweise reale Gegenstände, Spielzeug, Foto-, Bild-, Symbol- und Wortkarten, Kommunikationstafeln, Kommunikationsordner und Tagebücher. Die Gruppe der elektronischen Hilfen umfasst einfache und komplexe Hilfen. Dazu zählt man unter anderem adaptiertes Spielzeug, sprechende Tasten, (wie BIGMack oder Step-by-Step), elektronische Schalter, Computerprogramme, sowie Talker bzw. Tablets mit Sprachausgabe in unterschiedlicher Komplexität.

Wie muss ich mir die Kommunikation mit einem sogenannten Talker vorstellen?

Es gibt eine große Vielfalt von Talkern. Die Auswahl ist von den individuellen Fähigkeiten der Schülerin bzw. des Schülers abhängig. Sie verfügen in der Regel über einen Touch-Screen. Durch das Betätigen einer Taste oder die Kombination verschiedener Tasten kann man einzelne Worte, Sätze und auch Texte wiedergeben.

Der Nutzer des Talkers ist somit in der Lage, sich aktiv an Gesprächen zu beteiligen und beispielsweise Bedürfnisse zu äußern, Fragen zu beantworten und Wissen widerzugeben. Die meisten komplexen Talker verfügen über ein vorgefertigtes Vokabular. Um es effektiv nutzen zu können, wird dieses an die Fähigkeiten des Nutzers und den notwendigen Sprachwortschatz angepasst. Das kann bedeuten, dass der zu einem Unterrichtsthema benötigte Wortschatz erst eingegeben werden muss. Wichtig ist es, die Schülerin oder den Schüler im Umgang mit dem Talker zu schulen und das Lernumfeld anzupassen. Ein teurer Talker bedeutet nicht automatisch eine gelungene Kommunikation. All dies stellt erhöhte Anforderungen an die Pädagoginnen und Pädagogen und andere Personen im Umfeld des Nutzers.

Was sind die besonderen Herausforderungen bei der UK?

Entscheidend ist, herauszufinden, welche Kommunikationsmittel sich aus der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden eignen, um ein angemessenes Kommunikationssystem aufzubauen. Der Kommunikationsprozess bei Menschen, die unterstützt kommunizieren, ist durch vielfältige Faktoren erschwert. Beim Gespräch ist die Kommunikationsgeschwindigkeit reduziert und es bedarf eines hohen zeitlichen Aufwands für beide Partner. Häufig gibt es auch Verständigungsschwierigkeiten oder erschwerte Bedingungen beim Betätigen der Kommunikationshilfe. Das zur Verfügung stehende Vokabular ist meist eingeschränkt. Das kann einerseits an den kognitiven Fähigkeiten des Menschen oder an den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln liegen.

Mit Hilfe der UK wird Selbstbestimmung und Partizipation ermöglicht. Ist Ihnen die Verbreitung im CJD Erfurt noch zu wenig? Wenn ja, was können wir perspektivisch besser machen?

Durch die Treffen der Arbeitsgruppe im CJD Erfurt habe ich einen guten Einblick in die Arbeit der verschiedenen Bereiche bekommen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die sich engagieren. Als Probleme zeichnen sich vor allem fehlende Zeitressourcen und eine unzureichende materielle Ausstattung ab. Wenn ich es mir wünschen könnte und Geld dabei keine Rolle spielt, würde ich für unsere Einrichtungen im CJD gern modernes Equipment beschaffen. Und natürlich hätte ich gern mehr Zeit für dieses wichtige Thema.

Die wissenschaftliche Weiterentwicklung in der UK erfordert neue Software. Ich halte es für wichtig und notwendig, in jedem Bereich einen Hilfsmittelpool anzuschaffen. So kann man diagnostisch effektiv arbeiten und die geeigneten Kommunikationsmittel ausprobieren. Auch die Qualifikation der Mitarbeitenden ist wichtig. Ein Einführungskurs für interessierte Mitarbeitende wäre eine solide Basis, um die UK in unseren Angeboten auf dem neuesten Stand zu halten und weitere Mitarbeitenden an das Themengebiet heranzuführen.