Ein zweites Leben – „Nie wieder Alkohol!“

08.09.2021 CJD Erfurt « zur Übersicht

Text: Ulrike Golz

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, diese Redewendung kennt vermutlich jeder von uns. Doch manchmal ist es einfacher als gesagt. Zum Beispiel, wenn uns das Leben vor große Herausforderungen stellt. Dabei ist es gar nicht so einfach, immer die notwendige Willenskraft aufzubringen und den richtigen Weg zu finden. Besonders wenn der Kampf lange dauert, gibt mancher Mensch auf halber Strecke wieder auf und verliert.

Einen langen und kräftezehrenden Kampf mit sich selbst hat auch Günther Lüsebrink geführt. Als ich ihn für diese Reportage zum ersten Mal treffe, bin ich ein bisschen nervös. Ich weiß, dass er viele Jahre lang alkoholabhängig war, jetzt aber schon seit zwei Jahren „trocken“ ist. Davon bin ich schwer beeindruckt, aber ich mache mir auch Gedanken: Möchte Günther Lüsebrink mit mir über diese Zeit reden? Sind meine Fragen empathisch genug? Bin ich diesem Thema überhaupt gewachsen?

Meine Sorgen verfliegen, als mich ein sympathischer Mann freundlich an der Wohnungstür empfängt und mir mit Stolz seine eigenen vier Wände zeigt. Gerade ist auch sein Begleiter Alex vom CJD Erfurt bei ihm. Beim Eintreten entdecke ich viele Pflanzen, bunte Dekorationen, Schallplatten, Vereinsfotos und Medaillen. Als ich ihn auf die Fotos anspreche, erklärt er mir, dass sie noch aus der DDR-Zeit stammen, als er im Ringerverein aktiv und sehr erfolgreich war. Schon ist der Einstieg ins Gespräch gelungen und Günther Lüsebrink beginnt mich in sein bewegtes Leben mitzunehmen.

Geboren wurde er 1960 in Erfurt, er ist also eine echte Erfurter Puffbohne. Seine Kindheit verbrachte er in Wohnheimen, was nicht immer einfach war. Er hatte nur wenig Entscheidungsfreiheit und musste sich Zimmer und Bad mit anderen Bewohner*innen teilen.

Nach einer Metzger- und Fleischerlehre absolvierte der gesellige Mann noch eine weitere Ausbildung zum Koch. Er war lange Zeit in einem Erfurter Lokal beschäftigt. Dort haben sich die Mitarbeiter*innen gegenseitig zum Trinken verleitet und hatten Spaß an diversen Trinkspielen. So rutschte er ganz langsam in die Abhängigkeit. Und es kam immer häufiger vor, dass er – wie seine anderen Kolleg*innen auch – in angetrunkenem Zustand gearbeitet hat. Das hatte schlimme Folgen, denn der Alkohol bestimmte fortan das Leben von Günther Lüsebrink.

Nach der Wende kam der gebürtige Erfurter zum CJD und lebte zunächst in einem stationären Angebot. Der Alkohol war bereits seit vielen Jahren sein ständiger Begleiter. Später wechselte der aufgeschlossene Erfurter in eine Wohngruppe, doch sein Herzenswunsch von einer eigenen Wohnung, in der er sich selbst verwirklichen kann, saß tief im Herzen. Lange Zeit suchte Günther Lüsebrink eine Wohnung, aber viele Vermieter*innen zweifelten seine Eignung als Mieter immer wieder an.

Doch Günther Lüsebrink und das CJD-Team suchten immer weiter und vor ungefähr 10 Jahren war es endlich soweit. Er bezog eine Wohnung am Juri-Gagarin-Ring, die er sich ganz nach seinem Geschmack einrichtete. Doch der Kampf ging weiter. Seine Alkoholsucht zwang ihn oft in die Knie, er ging nicht arbeiten und wurde mehrmals bewusstlos zu Hause aufgefunden. Sein Traum vom eigenen Wohnen stand auf der Kippe. Doch seine Begleiter*innen vom Ambulant Betreuten Wohnen im CJD trauten ihm mehr zu, als er sich vielleicht selbst.

Die Aussicht, seine geliebte Wohnung zu verlieren, weckte in Günther Lüsebrink den Kampfgeist. Er arbeitete mit seinem Begleiter daran, den Alkoholkonsum schrittweise zu reduzieren. Dabei kam es jedoch immer wieder zu schweren Rückfällen. So ging es auf und ab, bis zu dem Tag, an dem sich das Leben des lebenslustigen Mannes schlagartig änderte. Günther Lüsebrink brach nach einem weiteren Rückfall in seiner Wohnung zusammen und musste ins künstliche Koma versetzt werden. Akutes Nierenversagen. Ein Schock für alle Freunde, Familienangehörigen und seinen Begleiter Alex vom CJD Erfurt. Wie durch ein Wunder überlebte er das Nierenversagen, denn eine dritte, bisher unentdeckte Niere übernahm die lebenswichtigen Funktionen. Das war seine Chance auf ein zweites Leben.

Mit angehaltenem Atem erfahre ich, dass Günther Lüsebrink vor der Reanimation eine Nahtoderfahrung machte. Er befand sich außerhalb seines Körpers und sah sich im Krankenhausbett liegen. Das brachte ihn zum Umdenken. Und er wollte es diesmal wirklich schaffen. Seine Familie und gesetzliche Betreuung erklärten ihm noch im Krankenhaus, dass er nicht mehr in seine Wohnung zurückkehren kann, denn noch einen Alkoholexzess würde er nicht überleben.

Das war der endgültige Wendepunkt. Von diesem Moment an hieß es für Günther Lüsebrink „Nie wieder Alkohol!“. Er hat seitdem keinen Tropfen mehr angerührt. Mit Hilfe von Ärzten und dem CJD kämpfte er gegen die Sucht, sodass sich sein Zustand allmählich verbesserte. „Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen und dafür bin ich unglaublich dankbar“, erklärt der Erfurter.

Nach dieser Geschichte bin ich zutiefst bewegt und frage ihn, wie er nach so vielen Jahren der Abhängigkeit durchhalten konnte. Er antwortet, dass ihm das sehr viel abverlangt hat und dass er sich immer von dem Gedanken „Günther, du willst leben!“ leiten ließ. Er hat außerdem einen großen Freundeskreis und seine Ansprechpartner*innen beim CJD, die ihm immer zur Seite standen.

Besonders wichtig ist ihm sein Begleiter Alex, der ihn mehrmals wöchentlich besucht und ihn im Alltag unterstützt. Beide verstehen sich sehr gut und auch Alex schwärmt von der Zusammenarbeit: „Günther ist unglaublich hilfsbereit und empathisch, eine echte Persönlichkeit, ein Original, eben einfach Günther.“

„Jetzt fängt mein Leben erst richtig an!“, sagt Günther Lüsebrink vergnügt. Er habe ja alles, was er braucht. Nur eine liebevolle Frau, mit der er sein neues Leben teilen kann, wünscht er sich noch. Er erzählt, dass er gern kocht und am liebsten frische Salate zubereitet, dass er gern Musik hört und dass ihm seine Arbeit als Monteur in den Erfurter Werkstätten beim CJD gefällt. Mit seinen Macken – Shoppen und Rauchen – kann er leben. Alkohol gehört definitiv nicht mehr zu seinem Leben und er lehnt konsequent alles ab, was nur an den Geschmack erinnert. Wenn andere trinken, stört ihn das nicht, er trinkt eben nur nicht mit.

Diese Geschichte hat mich sehr berührt und ich bin mir sicher, dass sie auch andere Menschen inspirieren wird. Mit enormer Willenskraft hat Günther Lüsebrink seinen Weg gefunden und den Kampf gegen den Alkohol gewonnen. Ich habe keine Zweifel daran, dass er noch mehr schaffen wird, denn er hat es ja schon bewiesen: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“