Brücken in die Arbeitswelten – Interview mit Werkstattleiter Daniel Habenicht

18.08.2021 CJD Erfurt « zur Übersicht

Im März 2021 hat Daniel Habenicht die Werkstattleitung für die Erfurter Werkstätten im CJD Erfurt übernommen. Nach fünf Monaten in seinem neuen Job haben wir bei der sympathischen und versierten Führungskraft nachgefragt. Im Interview spricht der Werkstattleiter über Herausforderungen, Pläne und die Motivation für seine Arbeit.

Herr Habenicht, Sie haben über zwei Jahre die Interdisziplinäre Frühförderung im CJD Erfurt geleitet. Was hat Sie motiviert, sich als neuer Werkstattleiter zu bewerben?

Ich bin nun über sechs Jahre im CJD tätig und mit der Zeit lernt man die Mitarbeiter*innen aus den Erfurter Werkstätten bei Verwaltungsbesuchen kennen. Eines Tages hat mich ein Mitarbeiter mit Behinderungserfahrungen im Verwaltungstrakt angesprochen und mir mit Stolz sein gefertigtes Arbeitsstück gezeigt. Das hat mir enorm imponiert. Als ich dann noch aus vollem Herzen von ihm umarmt wurde und weitere sympathische Beschäftigte kennenlernen durfte, war mir klar: Wenn sich die Chance ergibt, möchte ich mich künftig beruflich in einer Werkstatt engagieren. Da ich in diesem Arbeitsfeld sowohl meine pädagogischen als auch wirtschaftlichen Interessen optimal für das CJD einbringen kann. Seitdem hatte ich in der kurzen Zeit als Werkstattleiter viele unbezahlbare Momente, die ich nicht missen möchte.

Weiterhin wollte ich eine neue Herausforderung mit mehr Verantwortung angehen. Ich möchte an den neuen Aufgaben wachsen und mich kontinuierlich weiterentwickeln. In der Werkstatt habe ich die Chance zu beweisen, dass ich mit den Herausforderungen und Verantwortlichkeiten umgehen kann.

Fünf Monate in Ihrem neuen Job liegen bereits hinter Ihnen. Wie sieht im Moment ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag aus?


Ein normaler Arbeitstag beginnt für mich um circa 7:30 Uhr. Frühstück gibt es in der Regel nicht, da ich so zeitig meistens noch keinen Hunger habe. Allerdings mache ich mir eine Tasse Kaffee, die ich morgens zum wach werden brauche. Zudem gehört der Kaffeeduft einfach in mein Büro. ;-)

Als erstes checke ich meine E-Mails und beantworte diese. Danach erstelle ich meine To-Do-Liste für den aktuellen Tag. Generell versuche ich, diese Struktur aufrecht zu erhalten. Jedoch gibt es keinen gewöhnlichen Arbeitstag, da jeden Tag neue Aufgaben und Herausforderungen auf mich warten. Die tägliche Arbeitsvielfalt und das austarieren des Spannungsgefüges von pädagogischen und wirtschaftlichen Aspekten macht den Job für mich so interessant.

Welche Parallelen gibt es zu Ihrer ehemaligen Stelle als Leiter eines Frühförderangebots und Ihrer jetzigen Positionen? Worin bestehen die größten Unterschiede?

Die Leitung der Frühförderstelle war ähnlich vielschichtig, jedoch mit mehr Verwaltungsaufgaben verbunden. Der Fokus meiner neuen Tätigkeit in der Werkstatt liegt vor allem darauf, die strategische Planung und die Entwicklung des Angebotes zu erarbeiten, um weiterhin nachhaltig und wettbewerbsfähig aufgestellt zu sein.

Oft stehen Werkstätten für Menschen mit Behinderungserfahrungen in der Kritik. Fördert denn Ihrer Meinung nach das System der Werkstätten einen inklusiven Arbeitsmarkt?

Hierzu würde ich gerne einen Exkurs einschlagen und das Angebotsportfolio von Werkstätten für Menschen mit Behinderungserfahrungen vorstellen.

Werkstätten erbringen flexible und individuell auf die Person abgestimmte Leistungen und erfüllen so eine Vielzahl von Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention für Menschen mit Behinderungserfahrungen. Die Angebote und Kooperationen von Werkstätten im Sozialraum tragen zur Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft bei. Sie ermöglichen Zugänglichkeiten unter anderem zu Transportmitteln, Information und Kommunikation sowie Einrichtungen und Diensten. Sie unterstützen Menschen mit Behinderungserfahrungen bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfreiheit. Auch befähigen sie Menschen mit Behinderungserfahrungen zu einer unabhängigen Lebensführung und ermöglichen die Einbeziehung in die Gemeinschaft.

Mit unseren Angeboten zur Beruflichen Bildung verhelfen wir den Mitarbeiter*innen zu Bildung, welche vom anerkannten beruflichen Bildungssystem weitgehend ausgeschlossen werden. In der Werkstatt ist eine Rehabilitation durch Arbeit gegeben. Weiterhin realisiert die Werkstatt in Form von arbeitsbegleitenden Maßnahmen und Freizeitangeboten, Teilhabe am kulturellen Leben und an Erholung, Freizeit und Sport.

Wir haben in unserer Werkstatt den Anspruch, die Inklusion von Menschen mit Behinderungserfahrungen in ihrer Gesamtheit zu fördern. Hierzu bauen wir Brücken in die Arbeitswelten, die Gesellschaft und die Sozialräume. Damit sind Werkstätten nicht nur ein wichtiger Bestandteil eines inklusiven Arbeitsmarktes, sondern des sozialen Systems insgesamt.

Wie hoch ist die Vermittlungsquote der Erfurter Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt? Was wollen Sie ändern, um die Quote weiter zu steigern?

Der Fokus darf nicht darauf liegen, eine Quote mit aller Macht erreichen zu wollen. Vielmehr sollte die Werkstattleistung auf die unterschiedlichen Anforderungen an Rehabilitation, Berufliche Bildung und Arbeitsgestaltung personenzentriert zugeschnitten sein, bei gleichzeitig qualitätsfördernden Rahmenbedingungen. Nicht alle Werkstattbeschäftigten benötigen dauerhaft berufliche Rehabilitation. Ebenso ist nicht für alle Menschen mit Behinderungserfahrungen der Übergang in ein Beschäftigungsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt realisierbar oder gewünscht.

Anhand der personenzentrierten Vorgehensweise müssen wir unsere Strukturen und Prozesse weiterhin konsequent im Sinne unserer Mitarbeiter*innen ausrichten, um ihre Methoden- und Fachkompetenzen ebenso wie Sozial- und Individualkompetenzen wirksam zu fördern.

Welche Herausforderungen werden in der Planung künftiger Arbeitsangebote auf Sie zukommen?

Der erste Schwerpunkt hierbei liegt im Pflegen, Aufspüren und Aufbau eines regionalen Unterstützerkreises. Es geht um Stärkung bzw. Aufbau vorhandener oder herstellbarer Beziehungen der Kooperationen, des Vertrauens und der Solidarität zwischen Menschen mit Behinderungserfahrungen, ihren Angehörigen, Freunden, Nachbarn, örtlichen Vereinen, Betrieben usw. in ihrem sozialen Nahraum. Das heißt, um neue Arbeitsangebote zu entwickeln, liegt die Herausforderung darin, im Erfurter Sozialraum nach „Türöffnern“ zu suchen und Verbindungen zu knüpfen. Ein Konzept das sozialraumorientiert und auf die individuellen Unterstützungsangebote für die Mitarbeiter*innen zugeschnitten ist, verlangt von allen Professionellen hohe Anforderungen. Dabei ist ein hohes Maß an Flexibilität, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit gefordert, um adäquate Arbeitsfelder im sozialräumlichen Umfeld der Adressaten zu organisieren.

Weiterhin müssen wir zukünftig auch bei neuen Arbeitsangeboten darüber nachdenken, wie wir in der digitalen Arbeitswelt Chancen bieten und somit dem technologischen und strukturellen Wandel Rechnung tragen.

Stichwort „Außenarbeitsplätze“ – Welche Entwicklungen sind hier zu erwarten?

Wir sind eine Werkstatt, die eine Vielzahl an Außenarbeitsplätzen vorzuweisen hat. Dies ist positiv zu bewerten, da Inklusion und Teilhabe von ihrem Wesen her nur außerhalb von Sondereinrichtungen stattfinden kann. Daher verfolge ich den Ansatz der Sozialraumorientierung. Dabei geht es nicht darum, Menschen zu verändern, sondern Arrangements zu schaffen und Verhältnisse zu gestalten. Der Fokus ist immer die Umwelt, das Feld, in dem sich die jeweiligen Akteure mit ihren Interessen und Lebensentwürfen bewegen.

Daher ist es mein Ziel, anhand der Vorstellungen, Ziele und Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen weitere sozialraumnahe Arbeitsplätze außerhalb der Werkstatt zu schaffen, bei denen der Charakter des sicheren Ortes der Werkstatt auch gegeben ist.

Was würden Sie im Bereich der Erfurter Werkstätten am liebsten ändern, wenn Geld keine Rolle spielen würde?

Wir als Werkstatt stehen in der Verantwortung, die Menschen mit Behinderungserfahrungen darin zu unterstützen, dass der politisch gewollte und gesellschaftlich zugesagte Anspruch auf individuell angemessene, quantitativ und qualitativ ausreichende Teilhabeleistungen garantiert und umgesetzt werden.

Welche beruflichen Ziele haben Sie sich gesteckt?

Mir ist wichtig, dass ich mich nicht nur fachlich weiterentwickle, sondern dass ich mit meiner Arbeit ein Unternehmen voranbringe, das die bestmöglichen Bedingungen für die Menschen im CJD bietet.

Privat gefragt – Was machen Sie nach einer stressigen Woche, um den Kopf frei zu bekommen?

Der Stressabbau findet bereits nach dem Feierabend statt. Mindestens drei Mal pro Woche gehe ich laufen und drehe bei schönem Wetter auch mal eine Runde mit dem Rennrad. Die sportliche Ertüchtigung hilft mir ungemein, einen klaren Kopf nach getaner Arbeit zu erhalten. Ansonsten bin ich ein Kaffeeliebhaber und erprobe an meiner Siebträgermaschine meine Barista-Fähigkeiten.