Die Braut, die sich (endlich) traut

Den einen Menschen zu finden, mit dem man sein ganzes Leben verbringen möchte, ist ein riesiger Glücksfall. Und wenn das Schicksal an die Tür klopft, sollte man besser aufmachen – egal, ob man erst 20 ist oder bereits auf die große 60 zugeht. Zwar gehen die meisten Menschen hierzulande den Bund fürs Leben mit durchschnittlich 30,9 Jahren ein, doch diese Zahl steigt jedes Jahr weiter an. 55 Jahre alt musste Bärbel Kraft werden, um ihr ganz eigenes Liebesglück zu finden. Nach vielen Enttäuschungen lernte sie im CJD Erfurt ihren Liebsten kennen. Damals war sie Bewohnerin in einem Wohnangebot für Erwachsene im CJD Erfurt und er Hausmeister. Ganz die starke lebensfrohe Frau, die sie ist, fasste sich Bärbel ein Herz und sprach ihren Schwarm an. Jetzt haben die beiden geheiratet – und neben dem Traum vom Liebesglück konnten sie sich gleich noch den Traum von der eigenen Wohnung erfüllen.

Wie alles begann

Vor 56 Jahren an einem schönen Sommertag beginnt die Lebensgeschichte von Bärbel Kraft, deren Name Programm ist, wenn man sich die vielen Höhen und Tiefen ihres Lebens anschaut. Ihre Kindheit ist ab dem fünften Lebensjahr geprägt von zahlreichen und vor allem wechselnden Heimaufenthalten, die sie auch nach 56 Jahren nicht vergessen kann. Mit 20 Jahren verlässt sie Sachsen-Anhalt und zieht nach Thüringen. Hier beginnt sie als „Mädchen für alles“ in einem Seniorenheim in Erfurt zu arbeiten, wo sie Dinge wie Kohlenschleppen und die Reinigung des Gebäudes übernimmt. Eine ältere Krankenschwester steht der jungen Frau mit Rat und Tat zur Seite, so dass sie dort in einer eigenen Wohnung gut zurechtkommt. Doch als die damals Unterstützende in Rente geht, verliert Bärbel Kraft ihre kleine Wohnung und den damit verbundenen Job im Seniorenheim.

Doch die 1,50 m große Powerfrau lässt sich davon nicht unterkriegen und zieht in ein Wohnheim für Erwachsene, was zum damaligen Zeitpunkt der übliche Werdegang für Menschen mit Behinderungserfahrungen war. Das Wohnheim gehörte zum Rehabilitationszentrum der Stadt Erfurt für geistig und körperlich behinderte Menschen und wurde 1991 an das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands e. V. übergeben. Seit dieser Zeit hat Bärbel Kraft in zwei Wohnstätten des CJD Erfurt gelebt. Zwischendurch versuchte sie in einer Außenwohngruppe Fuß zu fassen, aber nach einem Schlaganfall und körperlichen Problemen zog sie zurück in ihre alte Wohnstätte mit 24-Stunden-Service. Doch tief im Herzen sehnte sich Bärbel Kraft nach einem Leben außerhalb eines „Heimes“, denn das kannte sie seit ihrer Kindheit ja zur Genüge.

Wenn die Liebe Berge versetzt

Im Herbst 2011 lernte sie dann den Mann kennen, der mit ihr gemeinsam den Traum der eigenen vier Wände realisieren sollte. Er arbeitete als Hausmeister in der Wohnstätte, in der Bärbel Kraft damals lebte. Sie beobachtete ihn ein paar Mal und beschloss eines Tages, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen und sprach ihn an. In den kommenden Wochen tranken die beiden einige Tassen Kaffee zusammen und redeten über Gott und die Welt. Danach wurde aus Freundschaft Liebe und der erste Kuss folgte mit vielen Schmetterlingen im Bauch. Schnell war beiden klar, wir wollen gemeinsam unseren Alltag meistern und das in einer eigenen Wohnung. Zunächst verbrachte Bärbel Kraft nur die Wochenenden gemeinsam mit ihrem Liebsten in seiner eigenen Wohnung. Doch nach einigen Wochen wurde es den beiden in der kleinen Einraumwohnung zu eng und der Wunsch nach einer gemeinsamen größeren Wohnung und einem gemeinsamen Leben wurde immer stärker. An einem schönen Herbsttag sprudelte es plötzlich aus Herrn Hoffmann, dem Lebensgefährten von Bärbel Kraft, heraus: „Ich möchte dich heiraten, so dass wir für immer zusammen gehören.“ Nach einer ausgiebigen Verlobungsfeier mit allen Verwandten und Freunden war es nun besiegelt – wir heiraten und ziehen zusammen!

Die erste gemeinsame Wohnung

Nach vielen Gesprächen mit dem Team vom Ambulant Betreuten Wohnen und dem gesetzlichen Betreuer, einem gemeinsamen Probewohnen in der kleinen Stadtwohnung und zahlreichen Wohnungsbesichtigungen war es dann endlich soweit – der Umzug nahte.  Schnell lebte sich das Paar in der geräumigen Dreizimmerwohnung ein. Die Unterstützung durch das Team vom Ambulant Betreuten Wohnen half den beiden, die kleinen und großen Alltagshürden zu meistern und so konnten sie schon bald den nächsten großen Schritt planen, der ein Jahr später folgen sollte.

Hochzeitsstress

Wo fängt man an, wenn man eine Hochzeit mit 50 Gästen plant? Am besten mit einer To-do-Liste, auf der alle Wünsche vermerkt sind sowie Dinge, die unbedingt erledigt werden müssen. Gut, dass drei enge Bezugspersonen aus dem Ambulant Betreuten Wohnen während den gesamten Hochzeitsvorbereitungen mit dem Brautpaar Hand in Hand arbeiteten. Der eine begleitete die ganzen Behördengänge, während die anderen die beiden Verliebten bei der Organisation des Raumes, der Einladungen und der Feierlichkeit unterstützten. Auch das Wunschdatum der Hochzeit, der 10.10.2015, war noch verfügbar, so dass der Traumhochzeit nichts mehr im Wege stand. Die Braut fand schnell ihr Traumkleid in Weiß mit passendem Fascinator. „Was für ein schönes Gefühl, ein Brautkleid zu kaufen“, bemerkte sie während der Anprobe. Der Bräutigam war ziemlich aufgeregt in den Wochen vor der Hochzeit, die Braut dagegen war stets entspannt und glänzte mit einer inneren Ausgeglichenheit, wie man sie nur haben kann, wenn man weiß, dass alles richtig ist.

Das Ja-Wort

Dann ging alles ganz schnell.

Einladungen wurden gedruckt, das Brautkleid zur Schneiderin gebracht, Eheringe ausgesucht, Blumenschmuck bestellt und eine Kuchenliste an Freunde und Verwandte verteilt. Und plötzlich war der Tag der Hochzeit. Die 56-Jährige war ganz entzückt, als sie sich zur Braut verwandelte und fühlte sich einfach nur gut. Und beim Ja-Wort vergoss der ein oder andere auch eine kleine Träne. Das Team vom Ambulant Betreuten Wohnen und Bärbel Krafts altem Wohnbereich ließen Ballons steigen und hatten für die Party nach der Trauung viele kleine und große Überraschungen parat. Vom Fotoshooting bis zur Tortenschlacht – dem Brautpaar fehlte es an nichts. Gegen Mitternacht verabschiedeten sich die Frischvermählten und waren einfach nur glücklich über den schönsten Tag in ihrem Leben.

 „Leben heißt nicht warten, bis der Sturm vorüberzieht, sondern im Regen zu tanzen.“

Vielleicht hat die 1,50 große Powerfrau  nicht immer an den einzelnen Weggabelungen ihres Lebens im Regen getanzt, aber sie hat bewiesen, dass es sich am Ende doch lohnt, immer wieder aufzustehen und niemals aufzuhören, an seine Träume zu glauben und das macht sie für uns zu einer wahren LebensKÜNSTLERIN.