Zähflüssig wie Honig, glühend heiß wie in einem Hochofen… – Erste Erfahrungen einer Anfängerin im Glasblasen

20.12.2017 CJD Erfurt « zur Übersicht

Zähfließend wie Honig wird Glas, wenn es mit einer Brennerflamme erhitzt wird. Viel Geschick braucht ein Glasapparatebauer dann, um dieses zäh konsistente Material in Form zu bringen. Er muss es gleichmäßig erhitzen, drehen, biegen, quetschen, zurechtformen, verbinden, auseinanderbiegen, nacherhitzen und und und. Oder er bläst in ein Glasröhrchen, um das Glas ballonartig aufzublasen – etwa zu einer in der jetzigen Jahreszeit beliebten Weihnachtskugel. Was optisch einfach wirkt, stellt sich für den Laien in der Handhabung weitaus komplexer dar.

Relativ erwartungslos meiner Glasblas-Fähigkeiten, aber mit ausreichend Respekt vor der Hitze der Brennerflamme, starte ich mit sieben weiteren Mitarbeitern des CJD Erfurt und einer Kollegin aus Ilmenau in die Glaswerkstatt des CJD Ilmenau. Dort arbeiten angehende Glasapparatebauer unter Anleitung von Ausbilderin Anke Dittrich und lernen das Handwerk des Glasformens. Für einen Tag dürfen wir auch einmal Lehrling sein und uns im Kugelblasen probieren.

Unser Ausgangspunkt des Tages, so erklärt uns die Ausbilderin, sind sogenannte Spitzen. Das sind lange Glasröhrchen mit einer bauchigen Stelle in der Mitte, die unter unserem Anfänger-„Geschick“ zu einer Kugel geblasen werden sollen. Dann zeigt sie, wie das funktioniert. Bei bis zu 1000 Grad Celsius erhitzt sie das Glas, bis es rot-orange glüht. Jetzt ist das Glas optimal formbar. Dann bläst die Ausbilderin ein weiteres Mal in das Röhrchen und lässt eine entstehen. Unglaublich mühelos entsteht eine gleichmäßig geformte Glaskugel. Anke Dittrich schickt uns an die Arbeitsplätze, damit wir es selbst ausprobieren können. Mahnt uns aber noch zur Vorsicht, denn scharfes Glas kann tiefe Schnitte zufügen. Mein Respekt vor dem Glasblasen wächst.

Zum Glück sitzen wir bei den Übungen nicht alleine am Brenner. Fünf Auszubildende im Glasapparatebau unterstützen uns bei den ersten Versuchen und geben Ratschläge, retten möglicherweise vor größeren Katastrophen. Mit ihnen an der Seite bekomme ich das Gefühl, nicht gleich beim ersten Versuch Gefahr zu laufen, den Verbandskasten zu brauchen. Dann dreht Markus Decker, der Auszubildende an dessen Arbeitsplatz ich sitze, die Brennerflamme auf. Ich nehme eine Spitze und fange vorsichtig an, das eine Ende zu erhitzen. Mein erster Versuch ist noch vorsichtig. So vorsichtig, dass sich das Glas beim Pusten nur minimal ausdehnt. Beim zweiten Versuch wird die Kugel voluminöser. Jedoch entsteht eine Kugel, die nur mit viel Fantasie als eine solche erkennbar ist. Mein Fehler: Ich habe das Glas nicht gleichmäßig erhitzt. Dadurch wird das Gebilde nicht gleichmäßig rund. Zum Glück geht es mir nicht alleine so. Der Kollege aus der IT, der mir gegenüber sitzt, schaut belustigt zu mir und hält mir seinen „Erstversuch“ breit grinsend entgegen. Auch seine Kugel ist naja … oval?! Nach ein paar weiteren Anläufen gelingen die Versuche bei mir, wie auch bei den Kollegen, immer besser. Im Verlauf des Workshops entstehen neben Kugeln noch Bowlestäbe, eine Vase, ein Schneemann, Stäbe zum Kerzen löschen oder abstrakte Kugelkunstwerke. Eine Kollegin hält eine Kugel in Vogelform in der Hand. Natürlich mit einem Augenzwinkern, denn hier gab es Hilfe von der Ausbilderin.

Ich komme mit Azubi Markus Decker ins Gespräch. Der Lehrling im zweiten Lehrjahr erzählt mir von einer selbstgemachten Weihnachtsbaumspitze. Das Handyfoto von dieser sieht vielversprechend aus. Also bitte ich ihn, mir zu zeigen wie das geht. Etwa eine halbe Stunde lang pustet er, dreht und fügt drei Elemente zu einer blauen Baumspitze zusammen. Schwierig daran ist, die Einzelteile perfekt übereinanderliegend zusammenzubringen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und sieht makellos aus.

Nebenbei erzählt Markus Decker von seiner Ausbildung und holt ein paar Werkstücke aus dem Metallschubfach am Tisch. Im Laufe seiner Ausbildung lernt er unter anderem Gärröhrchen, Liebigkühler, Quecksilberfallen oder Füllstandsanzeiger zu fertigen. Er erklärt auch, dass Glasapparate beispielsweise in Röntgenapparaten, in Laboren oder im medizinischen Bereich benötigt werden. Vieles lässt sich auch heute noch nicht maschinell herstellen und muss handgefertigt oder mundgeblasen werden. Dafür verwenden die Auszubildenden jedoch ein „stabileres“ Glas mit einem höheren Schmelzunkt als das Thüringer Glas, das wir in unseren Übungsversuchen formen. Das hitzebeständigere Glas benötigt eine Temperatur von bis zu 1400 Grad Celsius, um es formbar zu machen.

Im Beruflichen Bildungszentrum des CJD Ilmenau lernen gerade 12 Glasapparatebauer (6 im ersten Lehrjahr, je 3 im zweiten und dritten Lehrjahr). Wenn sie nach Ilmenau kommen, stehen sie bereits bei einer Firma unter Vertrag. Da es diesen Ausbildungszweig nicht so häufig in Deutschland gibt, kommen manche von ihnen sogar aus Chemnitz oder vom Bodensee in den Thüringer Wald gereist. Wie leichtfertig die Azubis mit dem erhitzten Glas umgehen, beeindruckt uns sehr und zeigt, dass sie ganz schön was auf dem Kasten haben. Zu Recht hat Ausbilderin Anke Dittrich hier schon vier Mal die besten Glasapparatebauer Deutschlands ausgebildet. Eine Kollegin betont: „Ich find es toll, wie cool die Jungs und Mädels trotz dieser Temperaturen bleiben.“ Das stimmt. Bei der einen oder anderen Vorführübung beweisen sie eine ruhige Hand, zeigen viel Fingerspitzengefühl und antrainierte Feinmotorik. Und bleiben trotz Hitze total gelassen - eine Eigenschaft, die wohl kennzeichnend für diesen Berufszweig ist.

Sich noch einmal wie ein Schüler fühlen – so ging es uns Anfängern im Glasblasen. Was so leicht in den Händen von Ausbilderin Anke Dittrich und ihren Lehrlingen aussieht, ist in der Praxis gar nicht so einfach. Dieses Wissen nehmen wir, zusammen mit den selbstgeblasenen Glaskonstrukten, mit nach Hause. Jetzt bekommen die Kugeln am Weihnachtsbaum einen ganz anderen Wert. Vor allem, wenn die Selbstgemachten aus diesem Workshop daran hängen. Sichtlich zufrieden sind alle beteiligten Kollegen mit dem gelungenen Teambuilding. Das soll CJD-intern verstetigt werden, damit Kollegen aus allen Bereichen einmal über den Rand ihres Arbeitsplatzes in ein neues Fachgebiet schnuppern können.