Nachgefragt – Neue Gesamtleiter im Doppelinterview

19.04.2021 CJD Erfurt « zur Übersicht

Nicht nur die Bundeskanzlerin oder der Papst werden an ihren ersten 100 Tagen im Amt gemessen. Auch Stoyan Dimitrov und Tobias Reinhardt, unsere neuen Gesamtleiter im CJD Sachsen/Thüringen, standen unter intensiver „Beobachtung“ ihrer Kolleg*innen.
Ob sie das CJD als perfekten Arbeitgeber sehen? Und was sie am meisten motiviert und nervt? Wir haben nachgefragt...


Seit Anfang 2021 sind Sie beide Gesamtleiter des neuen Verbundes CJD Sachsen/Thüringen. Wie war der Start für Sie?

T. Reinhardt: Für uns als Gesamtleiter begann der Start des Projektes „Verbundzusammenlegung“ bereits in der ersten Jahreshälfte 2020. Wir wurden durch den Vorstand sehr früh eingebunden und waren am Prozess von Anfang an beteiligt. Dafür bin ich sehr dankbar, denn so konnten wir frühzeitig anfangen zu gestalten.

Der 01.01.2021 war somit kein „Big-Bang“ sondern vielmehr eine Etappe auf dem herausfordernden Weg, den wir bei der Zusammenlegung von zwei Verbünden im CJD gehen. Dennoch war der formelle Start natürlich ein tolles Gefühl, denn hier entsteht etwas Großartiges.

S. Dimitrov:
Wir hatten uns fest vorgenommen, die ersten drei Monate ganz intensiv für Besuche vor Ort zu nutzen, um alle Einrichtungen, Angebote und möglichst viele Kolleginnen und Kollegen persönlich kennenzulernen. Aufgrund der aktuellen Pandemieentwicklung und der damit einhergehenden Schutzmaßnahmen muss dieser Plan verschoben, jedoch nicht aufgehoben, werden. Somit lief der Start für mich/uns bedauerlicherweise nicht ganz wie gewünscht und vorgesehen.

Wie sieht so ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus? Wie teilen Sie sich Ihre Aufgaben im Verbund auf?

T. Reinhardt: Einen standardisierten Tagesablauf nach festem Schema gibt es zumindest bei mir nicht. Dafür sind die äußeren Einflussfaktoren, die sich insbesondere in der aktuellen Corona-Krise ständig ändern, zu groß. Mein Arbeitsalltag ist derzeit geprägt von der Beantwortung unzähliger E-Mails, von Briefings und Gesprächen mit meinem direkten Team, aber vor allem aus Videokonferenzen, die mittlerweile auch mal in Summe rund 8 Stunden am Tag ausmachen.  

Die Verteilung der Aufgaben zwischen Stoyan Dimitrov und mir ist nicht klar schwarz oder weiß. Da gibt es reichlich Grauzonen.

S. Dimitrov: Inhaltlich betrachtet sieht kein Tag wie der andere aus. Es gibt lediglich einige wiederkehrende Aufgaben, die über das Jahr verteilt sind. Hauptsächlich beschäftigen wir uns mit Planung, Koordination, Absprachen, Bewertung von Sachverhalten, Strategien, Berichterstattung aber vor allem mit Entscheidungen und Kommunikation.

Ich bin federführend mit der pädagogischen Leitung des Verbunds beauftragt. Hinzu kommt, dass ich Fachbereichsleiter von zwei Fachbereichen bin sowie die Geschäftsführung von zwei Gesellschaften des CJD innehabe. Darüber hinaus haben sich Tobias Reinhardt und ich die erste Ansprechbarkeit und somit die Hauptverantwortung für die Fachstäbe, Funktionsstellen und -abteilungen nach unterschiedlichen sachlichen Aspekten aufgeteilt.

T. Reinhardt: Mein Fokus liegt auf dem kaufmännischen Bereich des Verbundes. Dazu zählen Personalmanagement, Rechnungswesen und Controlling, Qualitätsmanagement sowie der Einkauf. Grob gesagt, meine Aufgabe ist es, gemeinsam mit dem Team die kaufmännisch strukturellen Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit zu schaffen.

Darüber hinaus gibt es Bereiche, die wir gemeinsam verantworten bzw. viele Schnittmengen in den Aufgaben, die individuell abgestimmt werden.

Mit welchen 5 Schlagwörtern würden Sie Ihren Job beschreiben?


S. Dimitrov: verantwortungsvoll, komplex, herausfordernd, abwechslungsreich, sinnstiftend

T. Reinhardt: verbindend, abwechslungsreich, gestaltend, fordernd, fördernd

Was motiviert Sie in Ihrem Arbeitsalltag?

S. Dimitrov: Schon bei meiner ersten Beschäftigung im CJD als Sozialpädagoge im Jahr 2007 bin ich mit der Motivation und Intention gestartet, Menschen persönlich zu begleiten und zu befähigen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Heute freue ich mich, wenn es mir gelingt, die notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturen so zu schaffen und zu stärken (oder zumindest Ideen und Ansätze dafür zu finden), um eine qualitativ hochwertige Soziale Arbeit zu ermöglichen.

Im Arbeitsalltag faszinieren und inspirieren mich darüber hinaus Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ihrer Arbeit zu 100% identifizieren und diese mit großer Überzeugung und Freude verrichten.

T. Reinhardt: Meine tägliche Motivation sind definitiv meine Kolleginnen und Kollegen. Das im Berufsleben nicht selbstverständliche kollegiale, wertschätzende, kreative und lösungsorientierte Arbeiten im CJD und die daraus resultierenden großen und kleinen Erfolgserlebnisse geben mir Kraft für neue Aufgaben oder pushen, wenn es mal „ein Tag zum Vergessen“ ist.

Hinzu kommt das Privileg, dass ich beruflich etwas für und unmittelbar am Menschen bewirken kann. Unsere Arbeit wirkt direkt und für jeden sichtbar und ist eine der wichtigsten Aufgaben in einem Sozialstaat wie Deutschland. Mein Büro ist direkt angebunden an die Räumlichkeiten unserer Erfurter Werkstätten in der Donaustraße in Erfurt. Ich habe damit direkten Kontakt zu den Menschen, die wir täglich begleiten. Ich kenne viele persönlich, spreche mit ihnen und sehe unmittelbar die Wirkung unserer Arbeit im CJD. Für jemanden wie mich, der sich für einen sinnstiftenden Beruf am Menschen entschieden hat, ist das eine sehr stetige und zuverlässige Motivation.

Wenn Sie sich als Arbeitgeber bei neuen Mitarbeiter*innen bewerben müssten, was stünde als Bewerbungsgrund in Ihren Unterlagen?

S. Dimitrov: Darin wird wahrscheinlich zu lesen sein, dass ich auf der Suche nach einer Mannschaft bin, die sich voll und ganz ihrer Aufgabe – dem Dienst am Menschen – verschrieben hat. Auf der Suche nach einer Mannschaft, die auf Gemeinschaft, gegenseitige Wertschätzung, Redlichkeit, professionelles Handeln sowie Verantwortungsübernahme setzt und als zentrales Maß der Dinge, das Wohl, die Befähigung und die Entwicklung unserer Schützlinge definiert. Nach einer Mannschaft, in der die hierarchischen Organisationsstrukturen den Bedarfen folgen und keinen Selbstzweck darstellen, in der der Begriff „Mitarbeiter*innen“ synonym zu Kolleginnen und Kollegen verwendet sowie verstanden wird und in der ein Vorschlag/Einwurf nach seiner Qualität und nicht nach Herkunft gemessen wird.

T. Reinhardt: Diese Frage ist gar nicht so weit weg von der Realität. Die Erweiterung des Kollegiums stellt heute schon eine Herausforderung dar. Wir können mit einem der attraktivsten Tarifwerke im Sozialbereich punkten und trotzdem wirkt der aktuelle Arbeitnehmermarkt auch auf uns.

Wir freuen uns über neue Mitarbeiter*innen, die aktiv mitgestalten und etwas bewegen möchten, die unsere Werte und Haltungen zusätzlich stärken, unsere hohen Qualitätsziele auf ein neues Level heben und die motiviert sind, ihre Kompetenzen weiter auszubauen und sich weiterzuentwickeln. Dass wir hierfür den Freiraum und die Möglichkeiten bieten, würde ich als Bewerbungsgrund hervorheben.

Würden Sie das CJD als perfekten Arbeitgeber bezeichnen? Wenn ja, weshalb?


T. Reinhardt: Für mein Verständnis liegt „Perfektion“ vor, wenn eine Sache so gut ist, dass nicht das Geringste daran auszusetzen ist oder zu verändern wäre. Perfektion in diesem Kontext würde Stillstand bedeuten. Aber Stillstand ist genau das, was wir nicht wollen. Es gibt immer etwas zu optimieren, insbesondere die Systeme, um zu erkennen, was wir noch besser machen können, damit wir es dann anpacken können. Also ein klares „Nein“.

S. Dimitrov: Die Frage müsste eher lauten: Ist das CJD ein Arbeitgeber, für den es sich zu arbeiten lohnt? Die Antwort darauf ist: Ja! Auf jeden Fall! Denn das CJD engagiert sich nicht nur bedarfsgerecht, es stellt hohe Ansprüche an seine Arbeit, an sich selbst sowie an seine Angestellten. Und selbst wenn seine Anstrengungen nicht immer marktführend erscheinen und sofort Früchte tragen, kommt es darauf an, dass es nicht aufhört, an sich und an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für seine Angestellten zu arbeiten. Denn in dem Letzteren versteht es seine größte Ressource.

Hand aufs Herz, was nervt Sie am meisten an Ihrem Job?

T. Reinhardt: In der Philosophie liegen Liebe und Hass bekanntlich nahe beieinander. Hier liegt es ähnlich. Dinge, die zunächst als „nervig“ empfunden werden, sind ein besonderer Erfolg, wenn sie erst einmal bewältigt sind. Ich als Hobby-Radsportler verfluche jedes Mal aufs Neue starke und dann meist auch noch lange Anstiege. Sind diese geschafft, beflügelt und stärkt mich das ungemein.

Aber zurück zur Frage: Im Moment ist es die große Anzahl an Herausforderungen und die schnellen Veränderungen im Rahmen der Covid-19-Krise, die eine große Belastung darstellen. Wir als CJD tragen in der Pandemiebewältigung und dem Schutz des Menschenlebens eine sehr große Mitverantwortung. Unsere Kolleginnen und Kollegen, die Systeme und Strukturen sowie unsere übrigen Ressourcen sind allein hieraus sehr starken Anforderungen ausgesetzt. Mittlerweile nicht selten über die Grenzen des Machbaren hinaus. Es ist außerordentlich, was die Mitarbeiter*innen und die Menschen, die wir begleiten, aktuell sowohl privat als auch beruflich leisten. Dafür kann ich nur immer wieder meinen tiefen Respekt und meine Dankbarkeit aussprechen.

Hinzu kommen die schier endlosen aber spannenden Aufgaben, die eine Verbundzusammenlegung mit sich bringen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir aus dieser Situation ebenfalls gestärkt und zusammengerückt hervorgehen.

S. Dimitrov: Was mich am meisten anstrengt ist, wenn ich wahrnehme, dass wir im Binnenverhältnis des Öfteren aufgrund persönlicher Befindlichkeiten oder/und Animositäten den Sinn für Sachlichkeit leichtfertig vernachlässigen und anstatt konstruktiv miteinander zu arbeiten, uns vielfach selbst gegenseitig Steine in den Weg legen. Es ist ein Punkt, an dem ich mehrfach die Grenzen meines individuellen Einfühlungsvermögens erkenne.

Aus welchen Fehlern Ihrer beruflichen Laufbahn haben Sie für sich den größten Gewinn gezogen?

S. Dimitrov: Ich glaube, ich habe bei meinem beruflichen Werdegang fast jeden Fehler gemacht, den man hätte machen können. Insofern ist der Gewinn dabei womöglich die Summe aller, deren Aufarbeitung im Einzelnen mir je eine Entwicklungsperspektive bot.

T. Reinhardt: Ich durfte lernen, dass man bei Geschäftspartnern, deren Zuverlässigkeit man noch nicht einschätzen kann, besser den formellen Weg einschlägt.

Das CJD Sachsen/Thüringen will seinen Kund*innen bedürfnisorientierte Angebote machen. Wie identifizieren Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden*innen?

S. Dimitrov: Ich und meine unmittelbaren Aufgaben haben aktuell nur punktuell mit der direkten Arbeit am Kunden zu tun. An dieser Stelle verlasse ich mich auf die Einschätzung unserer Experten an der Basis. Zwar führen meine Kolleginnen und Kollegen und ich Gespräche mit Kostenträgern in Bezug auf Bedarfe und äquivalenten/adäquaten Angebote, diese gewinnen jedoch nicht selten aufgrund politischer oder/und wirtschaftlicher Faktoren manchmal an Abstraktion.

Wie sorgen Sie dafür, dass es immer genügend innovative Ideen gibt, um Teilhabe für alle Menschen Realität werden zu lassen?

S. Dimitrov: In Bezug auf Innovationen kann ich erneut auf unsere engagierten Experten in den Angeboten sowie auf Team-, Angebots- und Fachbereichsleitung verweisen. Weiterhin ist es über die unterschiedlichen überregionalen CJD-Gremien möglich, unseren Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern über die Schulter zu schauen. Darüber hinaus erlebe ich einen CJD-Vorstand, der ebenfalls große Offenheit für bewährte und/oder innovative Angebote, Ansätze und Methoden auch außerhalb des CJD zeigt und die Bereitschaft mitbringt, in solche zu investieren bzw. voranzutreiben.

Hat man als Gesamtleiter noch berufliche Ziele?

T. Reinhardt: Aber sicher habe ich noch berufliche Ziele. Ich habe in meinen Zielstellungen jedoch noch nie in Positionen gedacht, sondern vielmehr in zu überwindenden Herausforderungen aller Ausprägungen. So habe ich auch jetzt noch unzählige Ziele, die ich unterstützt von den Kolleginnen und Kollegen erreichen möchte.

S. Dimitrov: Die Berufung als Gesamtleiter ist für mich in der Tat nur Makulatur. Denn mir persönlich geht es nicht darum, diese Funktion lediglich in meiner Signatur einzufügen. Vielmehr besteht mein berufliches Ziel darin, der Verantwortung dieser Funktion gerecht werden. Und das ist ein langwieriger Prozess.

Privat gefragt – Sie haben beide Familie und Kinder, klappt die Work-Life-Integration?

T. Reinhardt: Es wäre gelogen, wenn das keine Herausforderung darstellt. Es gibt Zeiten, da funktioniert es sehr gut, dann aber gibt es Situationen, da steckt die Familie oder auch die Arbeit zurück. Ich versuche immer gut den Spagat hinzubekommen, meiner Verantwortung in der Familie und im CJD gerecht zu werden. Aber machen wir uns nichts vor, ohne meine starke Frau, die mich unermesslich im Alltag unterstützt und sich neben ihrem Beruf intensiv um unsere Kinder kümmert, wäre die Ausübung der Gesamtleitung nicht möglich.

S. Dimitrov: Meine Söhne sind aktuell im Alter von 3 und 9 Jahren. Es ist ein Alter, in dem die Anwesenheit beider Elternteile von besonders großer Bedeutung ist. Da es mir in der Woche selten gelingt, allen mit meiner eindringlichen Präsenz auf die Nerven zu gehen, gebe ich mir reichlich Mühe, dies am Wochenende nachzuholen. Daher sind für mich die Wochenenden heilig und ein Anker für Ausgleich.