Blind Date

10.08.2015 CJD Erfurt « zur Übersicht

"Manchmal ist es die Blindheit anderer,
die uns die Augen öffnet."


Inklusion und Teilhabe - Schlagworte des gesellschaftlichen Wandels und alle
meinen sie das Gleiche, nämlich offen zu sein für alle Menschen-egal ob Mann
oder Frau, mit oder ohne Beine, sehend oder blind.

Als Experten im Bereich Empowerment wissen wir um die Herausforderungen
moderner Inklusionsspolitik: Oft verharrt das Denken noch in den alten Mustern
und Bahnen. Dabei geht es um weit mehr als um Menschen zu inkludieren.
Es geht vielmehr um die gemeinsame und gleichberechtigte Teilhabe aller
Menschen - ohne Wenn und Aber. Allerdings erfordert dieses Ziel einen
gesellschaftlichen Struktur- und Kulturwandel.

Das "Blind Date" mit Maik Benschig soll einen Versuch darstellen, Wege eines
ansatzweisen Verständnisses der Wirklichkeiten zu finden, die Menschen mit
Behinderungserfahrungen möglicherweise von anderen unterscheidet oder
auch nicht. Eine zentrale Frage, mit der sich das CJD in Erfurt immer wieder
beschäftigt ist: Inwiefern ist es jedem einzelnen von uns möglich, an bestimmte
vorherrschende Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungserfahrungen
endlich ein Fragezeichen zu setzen? Am Ende bleibt zu hoffen, dass auch dieses
Fragezeichen sich mit der Zeit aufgrund veränderter Denkmuster in den Köpfen
von uns verflüssigt, denn damit würden sich auch die Vorurteile gegenüber
unseren Mitmenschen, die ganz normal anders sind, auflösen.

Seit der Geburt ist Maik Benschig blind. Nachdem er an einer Blindenschule
seinen Abschluss gemacht hat, arbeitet er in der Stuhlflechterei der Erfurter
Werkstätten des CJD in Erfurt. Was den meisten Menschen als Hindernis
erscheint, ist für ihn Alltag. Doch wie ist das eigentlich? Wie lebt man
ohne Augenlicht? Wir haben nachgefragt.*

Herr Benschig, frei heraus gefragt: Blind sein, wie fühlt sich das an?
Ich stelle es mir so vor, als würde ich ein Buch lesen und die Bilder entstehen
im Kopf. Wenn Sie Geräusche hören oder Gerüche wahrnehmen, malen Sie
sich dann auch aus, wie das aussehen könnte?

Ja, so könnte man das sagen. Ich stelle mir die Dinge halt anders vor. Man kann
das schon mit einem Buch vergleichen - es ist einfach Kopfkino nur in Gefühlen
und Geräuschen.

Für uns Sehende haben viele sichtbare Dinge eine große Bedeutung:
im Urlaub ein Zimmer mit Meerblick, welche Farbe wir schön finden und ob
das Shirt zur Hose passt. Welche sichtbaren Dinge haben für Sie im Alltag
Bedeutung?

So etwas ist für mich auch interessant zu hören. So ein Zimmer mit Meerblick
wäre schon toll - das Rauschen, die Seeluft. Um die Kleidung mache ich mir
auch Gedanken. Das kann man schon mit einem Sehenden vergleichen. Auch mir
ist wichtig, wie ich aussehe und auch, dass die Kleidung zum Wetter passt.

Und wie sieht es mit den Farben aus?

Also ich mag eigentlich alle Farben. Sie müssen aber zueinander passen.
Ich frage dann zu Hause nach der Bedeutung der Farbe und ob die Farben
zusammenpassen. Mir ist wichtig, wie ich nach außen wirke, deshalb sind mir
Farben wichtig. Sonst wäre das nicht so von Bedeutung.

Ich finde es auch schön, wenn etwas auf dem T-Shirt oder Pullover gedruckt ist.
Ich sehe es zwar nicht, aber ich weiß, dass es da ist. Die Stoffe sind auch von
Bedeutung, also ob es Baumwolle oder etwas anderes ist. Jeder Stoff fühlt sich
anders an auf der Haut.

Und wie träumen Sie? Wie genau muss man sich das vorstellen?

Also ich träume vor allem in Geräuschen und Gerüchen. Ich höre dann mich
selbst oder andere im Traum oder ich fühle das.

Wo wir schon beim Nichtweltlichen sind: Wie stellen Sie sich Gott vor?

Gott ist für mich etwas Besonderes. Ich stelle ihn mir sehr groß vor - eher ein
Gefühl. Ich könnte ihn mir auch als Melodie vorstellen.

Es hat sich in den letzten Jahren im Hinblick auf Barrierefreiheit viel verändert.

Was macht Ihnen im Alltag das Leben leichter?

Die Sprachanzeige in der Straßenbahn ist prima und sehr hilfreich. Aber auch
die Knöpfe mit Blindenschrift im Fahrstuhl und die Ampelsignale, das gab es
alles noch nicht, als ich ein Kind war. Auch die Leitsysteme auf dem Boden
helfen mir oft weiter. Auf den Medikamentenpackungen gibt es Hinweise in
Blindenschrift.

Wie erkennen Sie im Supermarkt Ihren Lieblingsjogurt?

Das ist schwierig. Da bin ich immer auf Hilfe angewiesen und muss andere fragen.
Aber das geht schon und ich bin es ja gewohnt.

Apropos Hilfe: Nehmen wir einmal an, Sie steigen in die Straßenbahn ein.
Sollte ich Ihnen einen Platz anbieten oder lieber nichts sagen?

Also ich mag es, wenn man mir sagt, dass irgendwo ein Patz frei ist.
Dann kann man mich ja am Unterarm kurz berühren. Oder mich dann zum Platz
führen. Wenn die Leute fragen, ist mir das definitiv lieber, als wenn sie nix sagen.

Können Sie manche Dinge besser als sehende Menschen?

Ja, ich kann mir Liedtexte sehr gut merken und ich höre Musik richtig gut.
Außerdem kann ich mich durch Geräusche besser orientieren. Also es ist
zum Beispiel ein Unterschied, ob ich an Häusern oder an Bäumen vorbeilaufe.
Da höre ich den Unterschied sehr deutlich.

Gibt es verbreitete Irrtümer über blinde Menschen, die Ihrer Meinung nach
nicht stimmen?

Also Kino ist toll, auch für blinde Menschen.

Wie sehen Sie eigentlich fern?

Filme sind für mich spannend ­- meine Bilder sind auch hier die Geräusche.
Ich sehe am liebsten Filme, die alle sehen. Also es macht für mich keinen
Unterschied, ob es ein spezieller Film für Blinde ist oder nicht.

Wie sollten Eltern ihren Kindern "blind sein" erklären? Gibt es da Dinge,
die auf keinen Fall oder auf jeden Fall gesagt werden sollten?

Man sollte erklären, dass ein blinder Mensch alles ertasten und erfühlen muss.
Man sollte Kindern auf jeden Fall sagen, dass blind sein nichts Schlimmes ist
und dass das Leben toll ist, auch wenn man nichts sieht. Blinde Menschen
sehen halt anders.

Was würden Sie Ihrem 15-jährigen Ich aus heutiger Perspektive gern
mit auf den Weg geben?

Ich würde ihm sagen: „Sei mutig. Hab’ keine Angst und trau dich, das zu sagen,
was dir wichtig ist.“ Und es ist nicht so schlimm, wie es andere immer sagen.

Wenn Sie sich entscheiden könnten, so zu bleiben, wie Sie sind, oder sehen
zu können – wie würden Sie sich entscheiden?
 

Klar wäre es auch toll zu sehen, aber grundsätzlich würde ich mich
so entscheiden, dass ich so bleibe, wie ich bin, denn das bin ich.

 

Wer Lust auf das vollständige Blind Date hat, einfach hier klicken!

* ….aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns zur sprachlichen
Glättung des Interviews entschieden. Mit großer Sorgfalt haben wir darauf
geachtet, den inhaltlichen Gehalt und die Authentizität des „Blind Dates“
dadurch nicht zu verändern.