25 Jahre „Haus Lebensbaum“ – Jubiläum in einem Wohnbereich, der mit seinen Bewohnern gewachsen ist

25.09.2017 CJD Erfurt « zur Übersicht

Der Baum gilt als Symbol für Wandelbarkeit über die Lebensspanne. Er steht für Verwurzelung, Blühen, Wachsen, Ernten und die Abänderbarkeit im Kreislauf der Jahreszeiten. Mit diesem metaphorischen Hintergrund wurde 2007 die Namensge-bung „Haus Lebensbaum“ für ein heilpädagogisches Wohnen für Erwachsene mit Behinderungserfahrungen beschlossen. Das Gebäude steht im Erfurter Norden in der Nähe des Zooparks. Bewohner, Personal und Ehemalige blicken in diesem Jahr auf 25 Jahre Hausgeschichte zurück. Vieles änderte sich seit 1992 – gleichzeitig ist vieles gleichgeblieben, allen voran die guten Sachen.

Heute beherbergt der ehemalige Kindergarten mit einer Außenfassade in graubrau-ner Optik 46 Bewohner in fünf Gruppen. Die 30 Einzel- und 8 Doppelzimmer in über drei Etagen sind eingerichtet nach dem Gusto der hier Quartier-Beziehenden. Hier sammeln sie die liebsten Bilder, füllen kahle Stellen mit favorisierten Möbeln auf und streichen die Wände in ihren Lieblingsfarben. Die Einrichtung der Gemeinschaftsräume bildet eine bunte Mischung aus geschenkten, neuen und alten Möbeln und versprüht einmal mehr den Charakter von unkonventioneller individueller Wohnlichkeit. Hier treffen sich alle gern zum Miteinander. Auch der große Garten lädt, gerade in den Sommermonaten, viel zum draußen sein ein. Doch bis alles so wohnlich eingerichtet war, gingen ein paar Tage ins Land. Anfang der 90er Jahre zogen die ersten Erwachsenen in den ehemaligen Kindergarten. Das CJD hat damals das Gebäude von der Stadt Erfurt erworben. Zunächst entsprach es nicht den nötigen Standards. Türdurchgänge und Korridore waren nicht geeignet für Rollstuhlfahrer, Toiletten gab es pro Wohngruppe nur eine und ein Aufzug fehlte. Angesetzte Umbaumaßnahmen konnten einen Teil dieser Makel beseitigen.

Im Herbst 1993 übernahm Uta Bräunlich die Leitung des Wohnbereichs. Kurz nach ihrem Studium wollten sie und ihre Mitarbeiter das Wohnen in einer Einrichtung mit Menschen mit Behinderungserfahrungen umdenken. Sie wollte die kahle und unper-sönliche Atmosphäre des Gebäudes aufbrechen. Und dabei halfen keine institutio-nellen Richtlinien, sondern die Meinungen und Wünsche der neu Eingezogenen sel-ber. Das fing bei einer Zimmergestaltung, die dem Bewohner des Zimmers gefiel und die an seinen persönlichen Wünschen ausgerichtet war, an. Und ging damit weiter, auch die Gemeinschaftsbereiche wohnlicher zu gestalten und ein Gruppenleben zu etablieren. Auch der Tagesablauf ließ fortan Freiraum für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. So wuchs das Haus durch seine Bewohner.

„Und damit entwickelte sich etwas ganz Besonderes: Individualisierung! Je souverä-ner die Bewohner, umso souveräner wurden auch die Mitarbeiter“, denkt Uta Bräun-lich an damals zurück. Die Individualisierung führte zur Normalisierung und machte den Umgang miteinander unproblematischer, so fasst die ehemalige Leiterin ihre Erfahrungen zusammen. Aus den Schlafräumen mit einfacher Mindestausstattung wurden Wohnschlafräume, Gruppenzimmer wurden zu Einzel- oder Zweibettzim-mern umstrukturiert. Die Bewohner konnten sich zurückziehen, wenn ihnen danach war, besuchten Freunde im Haus oder trafen sich zu gemeinsamen Spielen in den Gemeinschaftsräumen. Hinzu kamen regelmäßige Veranstaltungen, die sich über den Zeitablauf etablierten: Gemeinsame Ausflüge, Urlaubsfahrten oder Schwimmangebote. Die Andachten und die „Christenlehre“ mit Pfarrer Vieweg bildeten eines der Highlights im Monat. Die wurde immer begleitet von kleinen christlichen Theaterstücken aus einer der Wohngruppen. Für Uta Bräunlich eine tolle Erinnerung: „Ich hätte nie gedacht, dass sich das so toll entwickelt. Die Bewohner waren unglaublich stolz, wenn sie bei den Theaterstücken mitwirken konnten. Die Zuschauenden waren ruhig und haben diesen feierlichen Moment für sich erfasst.“

„Haus Lebensbaum“ wuchs in einer Zeit des Umdenkens. Früher wurden Menschen mit stärker ausgeprägten Behinderungserfahrungen in Pflegeheimen oder psychiat-rischen Einrichtungen untergebracht. Ende das 20. Jahrhunderts setzte ein Umdenkprozess in Gang. Pädagogische Denkansätzen fanden den Weg in die Köpfe. Es festigte sich der Gedanke, dass Menschen nicht anhand irgendeiner geistigen und körperlichen Einschränkung zu klassifizieren sind, sondern vielschichtige Persönlichkeiten mit individuellem Empfinden und somit ein Teil der Gesellschaft sind.

Seit 2015 leitet Danny Zahn das „Haus Lebensbaum“. In den Wohnbereich kam er einst als Begleiter. Er schätzt die Individualität, die dem Haus seinen Charakter ver-leiht. Hinzu kommt die gute Zusammenarbeit im Team, bei der sich jeder gegenseitig unterstützt. Er weiß um das hohe Engagement der Mitarbeiter, die auch schon Familienangehörige als ehrenamtliche Helfer gewannen oder ehemalige Kollegen, die sich auch in Rente noch engagieren. Außerdem schätzt er den familiären Umgang mit wohnlicher Einrichtung: „Wir machen das Haus zu einer Wohnung, bei der auch die Bewohner mitgestalten können“, fasst Danny Zahn zusammen.

25 Jahre Wohnen, 25 Jahre Zusammenwachsen, 25 Jahre gemeinsame Erlebnisse. Das Jubiläum gipfelt in einem Fest am 16. September 2017. Da wird das Vierteljahrhundert mit einer großen Feier begangen. Zu jiddischen Klängen der sechsköpfigen Klezmerband „Eva‘s Gartn“ wird in alten Zeiten geschwelgt, gegessen, getanzt und gelacht. Auf der Terrasse hinter dem Haus feiern Bewohner und ihre Familien, ehemalige und derzeitige Mitarbeiter in entspannter Atmosphäre. Zwischen den Bäumen im Garten dahinter sind lange Folien gespannt, an denen sich Fotos aus 25 Jahren „Haus Lebensbaum“ reihen. Viele Anekdoten ranken sich um die darauf gezeigten Momente – Urlaubsreisen, Tagesausflüge oder gesellige Runden im Haus selbst. Viele Finger zeigen auf Gesichter, die sie wiedererkennen und blicken auf vergangene Tage zurück. Beim Rundgang der ehemaligen Mitarbeiter durch das Haus erinnert man sich gerne gemeinsam an das kollegiale Miteinander. Einem ehemaligen Mitarbeiter kommen sogar Freudentränen, als er eine Vertraute aus seiner Zeit im Haus wiedersieht. Unvergessen schön sind die Erinnerungen, an die gemeinsamen Tage im Haus.

Gegen 18 Uhr neigt sich das Fest dem Ende zu. Danny Zahn weiß, dass auch das ohne ehrenamtliche Hilfe nicht zu stemmen gewesen wäre. Zufrieden blickt er auf das Fest zurück. Gleichzeitig blickt er aber nach vorn. „Auch für die Zukunft wünsche ich mir weiterhin ein so engagiertes Team, das auch in den kommenden 25 Jahren den Menschen in den Fokus stellt, scheinbar unüberwindbare Hindernisse bewältigt und eine höchst mögliche Normalität für die Bewohner des ‚Haus Lebensbaums‘ erreicht. Zudem wünsche ich mir, stellvertretend für alle Bewohner und Mitarbeiter, weiterhin unvergessliche Momente, die zu einem Teil der Lebensgeschichte aller werden.“