Kalte Schnauze, großes Herz – tiergestützte Pädagogik im CJD-Kindergarten „Die kleinen Europäer“

07.07.2017 CJD Erfurt « zur Übersicht

„Der Wauwau kommt, der Wauwau kommt“, begeistert springt Maximilian zur Tür und öffnet sie. Herein kommt die schwarzhaarige Hundedame Paulina, geführt von Besitzerin Susanne Wille. Sie setzt sich vor einen Stuhlhalbkreis auf den Boden, die dreijährige Hündin legt sich daneben. Auch Maximilian hüpft zurück zu seinem Sitzplatz und schaut erwartungsvoll zu den beiden Neuankömmlingen. Mit ihm sitzen drei weitere neugierige Vier- bis Fünfjährige auf ihren Stühlen im Halbkreis, dazwischen drei Pädagoginnen. Eine von ihnen stimmt mit der Gitarre ein Lied an, bei dem alle Anwesenden – Mensch wie Hund – der Reihe nach begrüßt werden. Dabei wird geklatscht, gepatscht und gestampft. Die kleine Runde sitzt in einem Raum im Erdgeschoss des Erfurter CJD-Kindergartens „Die kleinen Europäer“.

Nach der musikalischen Einleitung steht Hündin Paulina, kurz Pauli, im Mittelpunkt. Frauchen Susanne Wille öffnet eine orangefarbene Dose mit Hundegesicht. Diese ist bis zum Rand gefüllt mit Leckerlis – das heutige Frühstück für die Vierbeinerin. Zur Begrüßung darf jeder der Hündin ein solches Stückchen auf der flachen Hand hinhalten.

Danach wird es knifflig. Die Hundebesitzerin stellt ein graues Plastikrohr mit Löchern in die Kreismitte. Jedes Kind bekommt einen Holzlöffel und einen kleinen weißen Holzknochen ausgehändigt. Maximilian kennt die Aufgabe. Vorsichtig schiebt er den Löffel durch zwei gegenüberliegende Löcher im Rohr. Darauf drapiert er anschließend ein weißes Holzknöchlein. Und noch eines und noch eines. Seine Freunde tun es ihm gleich. Doch die Übung ist gar nicht so einfach. Der Löffel dreht sich bei ungleicher Gewichtsverteilung und dann fällt der Holzknochen auf den Boden. Hier sind Geschick und motorisches Feingefühl gefragt. Als sich alle sicher mit dem Drauflegen fühlen, wird die Übung wiederholt, jetzt aber mit Leckerlis. Denn für die Vierbeinerin soll sich das Spiel lohnen. Die Häppchen, die auf den Löffeln liegen bleiben, darf die schwarze Mischlingshündin fressen. „Jetzt müssen wir uns alle anstrengen, damit Pauli etwas zu essen bekommt“, motiviert Pädagogin Theres Wendt die eifrig übenden Kinder. Und dieser Aufruf funktioniert. Akribisch achten die Kinder darauf, dass die Leckerlis liegen bleiben und Pauli ein ordentliches Frühstück auf dem Löffel serviert bekommt. Maximilian darf ihr als erster den Löffel reichen und staunt, wie schnell das Leckerli im Maul verschwindet. Nacheinander gibt es von den anderen Löffeln etwas zu essen. Danach darf die Hündin verstecken spielen. Heißt es „Pauli such!“, macht sich die Mischlingshündin auf die Suche nach einer Tasche mit Leckerlis, die von den Kindern versteckt wurde. Und auch bei dieser Übung werden ganz unbemerkt Orientierung, Kreativität und Selbstbewusstsein geschult.

Hündin Paulina hört sofort auf Kommandos, weiß, wann sie liegen bleiben muss und zeichnet sich durch ihr ruhiges Wesen aus. Typisch für einen Goldendoodle – eine Mischung aus Pudel und Golden Retriever. Nach einer halbjährigen Ausbildung zum Therapiehund geht die Hundedame zusammen mit Frauchen nun in Schulen, Kindergärten oder Seniorenheime und möchte für ihresgleichen Werbung machen. Die Angst vor Hunden will sie nehmen. Gleichzeitig soll sie die von ihr begleiteten Personen ermuntern – zum Streicheln, zum Interagieren, zum Reden. An drei Tagen die Woche besucht Paulina zusammen mit Pudeldame Fine Schulen und Kindergärten. Das reicht dann aber auch. „Das ist das Maß, an dem der Hund noch Freude bei der tiergestützten pädagogischen Arbeit hat“, merkt Hundetrainerin Wille an.

Tiergestützte Pädagogik lautet eines der Angebote, mit dem Paulina und deren Pudel-Freundin Fine mit Frauchen unterwegs sind. Bei tiergestützter Pädagogik sollen Sensomotorik, nonverbale Kommunikation und Konzentration geschult, zudem Aspekte wie die Angstverminderung vor Hunden oder Steigerung des Wohlbefindens gefördert werden. Zu dieser Berufung kam Susanne Wille, als sie ihr Hobby Hund und Studium verbinden wollte. In tiergestützter Pädagogik und anderen Angeboten rund um Hundepädagogik fand die 33-jährige Erziehungswissenschaftlerin ihre Erfüllung. Mittlerweile hat sie sich selbstständig gemacht, wobei sie zusätzlich eine Hundeschule führt und die Ausbildung von Therapiebegleithunden und Besuchshunden anbietet.

Seit dem 23. Februar 2017 kommt Susanne Wille regelmäßig mit ihren Hunden in den CJD-Kindergarten „Die kleinen Europäer“. Ermöglicht wurde dies durch eine Spende der Sparkasse Mittelthüringen. Seitdem spielen, streicheln und lernen einige der „kleinen Europäer“ in der gemeinsamen Hundestunde – einzeln oder in der Gruppe. „Die Angst vom Anfang haben die Kinder schon sichtlich abgelegt“, merkt Pädagogin Karin Mothes an. Der Kindergarten „Die kleinen Europäer" des CJD Erfurt ist ein Ort, der Entwicklungs- und Bildungsimpulse für 120 Kinder im Alter von drei Monaten bis zum Schuleintritt, unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf, gibt. Die Prämisse lautet, bei der Entfaltung der geistigen Fähigkeiten und der Interessen der Kinder zu unterstützen. Die Tage werden abwechslungsreich gestaltet mit Gesprächskreisen, Gebeten, Projekten, Kursangeboten, Werkstattarbeit, Ausflügen und Exkursionen. Heilpädagogische Förderung und Angebote, wie die tiergestützte Pädagogik, sind wichtige Bestandteile des Tagesablaufs.

Nach der Gruppenrunde mit dem Goldendoodle kommen Kinder für Einzeltermine in den Raum. Zuerst ist Luise an der Reihe. Die Fünfjährige liegt mit Hündin Pauli auf einer Matratze. Vorsichtig streichelt sie mit ihrem Fuß die Vierbeinerin und lächelt dabei. Die Körperwärme und das kitzelige Gefühl am Fuß, was das Tierfell auslöst, gefallen ihr sichtlich. Ihr Lächeln geht in ein freudiges Lachen über. Danach dürfen Linda und ihre Schwester noch einmal Zeit mit der Hündin verbringen. Und dann kommt für Pauli der wohlverdiente Feierabend.