Abnabeln, Ausziehen und den Alltag allein meistern – Winterstammtisch des CJD Erfurt schafft Austausch zwischen Eltern

09.01.2018 CJD Erfurt « zur Übersicht

In eine Wohngruppe ziehen oder lieber von den Eltern Zuhause unterstützt werden? Das ist eine Frage, die sich viele Menschen mit Behinderungserfahrungen oder deren Eltern stellen. Dabei liegen die Vorteile eines Auszugs für den Ausziehenden auf der Hand: ein zunehmend selbstständiger Umgang mit dem Alltag und das Erlernen neuer Bewältigungsstrategien. Einfach zeigen wollen, dass man es selber schafft. Allen voran, was die Selbstversorgung und das eigenständige Bestreiten des Alltags betrifft. Auch neue Bekanntschaften lassen sich in Wohngruppen schnell finden. Unterschiedliche Mehrwerte bietet der Auszug also. In der Praxis erleben die Kollegen im CJD, dass diese gern von dem einen oder anderen Elternteil verkannt werden. Überbehütung, Überfürsorge und fehlendes Vertrauen in die Selbstständigkeit ihrer Schützlinge sind Begriffe, die dann im Raum stehen.

Die Mitarbeiter vom Sozialdienst Wohnen suchen nach Wohnmöglichkeiten oder Wohnpartnern und reden mit Eltern, gesetzlichen Betreuern und Beteiligten über die zu treffende Vorsorge. In ihrer Arbeit begleiten sie unter anderem den Auszug von Menschen mit Behinderungserfahrungen, beziehungsweise bereiten diesen prozessorientierten Schritt mit vor. Oft kommt es da auch zur bereichsübergreifenden Zusammenarbeit, beispielsweise mit dem Förderzentrum und dem Familienunterstützenden Dienst (FUD).

Zum Winterstammtisch im CJD Erfurt am 13.12.2017 moderierten Susanne König, Sozialpädagogin des Sozialdienstes Wohnen, und Konstanze Sperlich, Teamleiterin des Förderbereiches, eine offene Gesprächsrunde zur Thematik „Pädagogische Aspekte, z.B. Umgang auf Augenhöhe, Abnabelungsprozesse, Überbehütung etc“. In ihrer Arbeit begegnen ihnen immer wieder Sätze wie „Solange ich es selber leisten kann, kümmere ich mich um mein Kind.“ oder „Mein Kind kann nicht alleine wohnen, weil es nicht lesen oder schreiben kann.“ Deutliche Zeichen dafür, dass sich die Eltern schwer damit tun, den Abnabelungsprozess ihres erwachsenen Kindes voranzubringen. Es kommt zu besagter Überbehütung, die dann problematisch wird, wenn die langjährige Fürsorge aufgrund altersbedingter Einschränkungen der Eltern plötzlich nicht mehr funktionieren kann. Dann kann ein Auszug von Sohn oder Tochter sehr schnell nötig werden. Eine prozesshafte und begleitete Annäherung auf den Auszug ist dann nicht mehr möglich. Unsicherheit und Überforderung für denjenigen, der plötzlich ausziehen muss, sind vorprogrammiert.

Acht Elternteile tauschten sich mit den CJD-Mitarbeitern zum Winterstammtisch über ihre Erfahrungen mit dem Auszug aus. Problemlos ging der nicht immer vonstatten. Und nicht immer war der Nachwuchs die Ursache dafür. Gleichzeitig konnten sie aber auch von positiven Erlebnissen berichten, was gerade für die Eltern, bei denen der Auszug noch bevorsteht, wichtig zu hören war. Funktioniert hat es in allen Fällen dann doch immer. Um Unsicherheit und Überforderung zu vermeiden, kann zudem beispielsweise der FUD des CJD Erfurt unterstützend tätig werden. Teamleiterin Marlen Reinhold konnte an diesem Abend einige Erfahrungen zur Gesprächsrunde beitragen.

Alle Anwesenden waren sich darüber einig, dass der Auszug als langer gemeinsamer Prozess zu gestalten ist. Das umfasst Gespräche mit den Kollegen aus dem Sozialdienst, das gemeinsame Suchen nach Wohnmöglichkeiten und das Sprechen über nahende Aufgaben mit allen Parteien. Auch gilt es Ängste, weg von den Eltern zu sein, zu nehmen oder einem langjährigen Bewohner im Haus Tschüss zu sagen. Zudem muss ein gemeinsamer Konsens gefunden werden, der Eltern wie auch die erwachsenen Kinder mit Behinderungserfahrungen glücklich mit der Entscheidung zum Ausziehen macht.

Einigkeit herrscht auch bei dem Thema, dass Menschen, unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf, zuzutrauen ist, in einer der vielen Wohnformen alleine zu leben. In einer eigenen Wohnung, in Wohngemeinschaften, Außenwohngruppen oder Wohnhäusern erhalten sie die für ihre Bedarfe passende Unterstützung und Möglichkeit zur eigenständigen Entwicklung. Und für den kleinen Rest Sehnsucht nach der alten Heimat gibt es die Wochenenden, an denen beide Generationen wieder lange Zeit miteinander verbringen können.

Bereits im vierten Jahr findet die Veranstaltungsreihe „Winterstammtische“ statt und eröffnet neben Fachvorträgen Möglichkeiten zur Diskussion und offenen Gesprächsrunden. Die nächsten Winterstammtische 2018 beinhalten Fachvorträge zu folgenden Themen:

Winterstammtisch 17. Januar 2018

„Sexualität?!“ und das Projekt „biko-Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung“

Winterstammtisch 21. Februar 2018
„Eigene Wohnung – wie, wann, wo, mit wem?“

Winterstammtisch 14. März 2018
„WfbM: was bringt das neue Bundesteilhabegesetz - andere Anbieter? Budget für Arbeit etc.“

Veranstaltungsort ist das Förderzentrum „Lebensrhythmus“ des CJD Erfurt in der Donaustraße 2 A. Die Winterstammtische finden immer in der Zeit von 17 bis 19 Uhr statt. Für Kurzentschlossene ist die telefonische Anmeldung auch noch kurzfristig möglich.

Ihre Ansprechpartnerin:
Susanne König
Sozialdienst Wohnen
fon: 0361 – 78 34 404